Leitsatz
Beschlüsse, die auf der Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel gefasst werden, sind grundsätzlich nur insoweit materiell überprüfbar, als das "Ob" und das "Wie" der Änderung nicht willkürlich sein dürfen. Anders ist es bei Beschlüssen, die unverzichtbare oder unentziehbare, aber verzichtbare ("mehrheitsfeste") Rechte betreffen. Die unterliegen einer weiterreichenden Kontrolle.
Zu den unentziehbaren, aber verzichtbaren ("mehrheitsfesten") Rechten gehört die "Zweckbestimmung" eines Wohnungs- oder Teileigentums. Diese Zweckbestimmung darf durch einen auf der Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel gefassten Beschluss nur mit Zustimmung des Sondereigentümers geändert oder eingeschränkt werden.
Ein auf der Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel gefasster Beschluss, durch den die kurzzeitige Vermietung des Wohnungseigentums (z.B. an Feriengäste) verboten wird, ist nur dann rechtmäßig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung erteilt haben.
Auf der Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel kann gegen die Stimmen der Minderheit beschlossen werden, dass die Überlassung einer Wohnung an Dritte der Verwaltung anzuzeigen ist.
Normenkette
WEG § 10 Abs. 2 Satz 3
Das Problem
Die Gemeinschaftsordnung (GO) enthält eine Regelung, wonach den Wohnungseigentümern die vorübergehende oder wechselnde Vermietung ihrer Wohnungen (z.B. an Feriengäste) gestattet ist. Eine Öffnungsklausel sieht vor, dass die Gemeinschaftsordnung mit einer Mehrheit von 75 % aller Miteigentumsanteile geändert werden kann. Mit einer solchen Mehrheit fassen die Wohnungseigentümer folgenden Beschluss:
Die Wohnungen dürfen grundsätzlich nur zu Wohnzwecken genutzt oder zu Wohnzwecken vermietet werden. Die Überlassung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste, vor Ort befristet Tätige oder andere Mieter mit Unterkunftsbedürfnissen von kurzer Dauer ist nicht zulässig. Ausgeschlossen ist ebenfalls eine Nutzung zur Beherbergung von Personen oder als Unterkunft für Beschäftigte gemäß Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums des Inneren vom 17.12.2013 (Werkswohnungen). Die Überlassung einer Wohnung an Dritte ist der Hausverwaltung anzuzeigen.
- Auf die Klage von Wohnungseigentümer K stellt das Amtsgericht (AG) die Nichtigkeit dieses Beschlusses fest. Die Berufung bleibt erfolglos. Denn auch das Landgericht (LG) hält den Beschluss für nichtig. Auf Grundlage der Öffnungsklausel dürfe nämlich nicht in den "Kernbereich des Wohnungseigentums" eingegriffen werden. Einen solchermaßen unzulässigen Eingriff enthalte aber der Beschluss. Dagegen richtet sich die Revision des K. Ohne Erfolg!
Die Entscheidung
Der Beschlussmängelklage sei zu Recht von AG und LG stattgegeben worden. Dabei könne dahinstehen, ob der Beschluss die ausreichende inhaltliche Bestimmtheit vermissen lasse, soweit es nicht um Feriengäste, sondern um die zulässige Dauer anderer kurzzeitiger Mietverhältnisse gehe; denn der Beschluss könne aus materiellen Gründen insgesamt keinen Bestand haben.
Kommentar
- Der Beschluss habe keine Gebrauchsregelung i.S.v. § 15 Abs. 2 WEG, sondern die Änderung einer Vereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 WEG zum Gegenstand. Dienten nämlich "Einheiten" – wie im Fall – zu Wohnzwecken, sei dies als "Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter" anzusehen. Die zulässige Wohnnutzung umfasse auch die Vermietung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste. Die Änderung einer Vereinbarung durch Beschluss bedürfe der formellen Legitimation durch Kompetenzzuweisung, die sich entweder aus dem Gesetz oder aus einer Vereinbarung (§ 10 Abs. 2 Satz 2 WEG) ergeben könne. Hier erlaube es die in der GO enthaltene allgemeine Öffnungsklausel, ihre Regelungen mit qualifizierter Mehrheit zu ändern; die Beschlusskompetenz sei daher gegeben.
- Der formell legitimierte und mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit gefasste Beschluss unterliege allerdings einer materiellen Kontrolle. Eine Öffnungsklausel habe nämlich lediglich die Funktion, zukünftige Mehrheitsentscheidungen formell zu legitimieren, ohne sie materiell zu rechtfertigen. Deshalb sei ein Änderungsbeschluss auf der Grundlage einer Öffnungsklausel nicht schon dann rechtmäßig, wenn er die Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage erfülle. Vielmehr seien insbesondere zum Schutz der Minderheit bestimmte "fundamentale inhaltliche Schranken" zu beachten. Solche ergäben sich aus den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 134, 138, 242 BGB und den zum Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts zählenden Vorschriften, wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehörten. Ein gleichwohl gefasster Beschluss sei in diesem Fall nichtig, und zwar – trotz bestehender Beschlusskompetenz – aus materiellen Gründen.
- Geklärt sei auch, dass die durch eine Öffnungsklausel legitimierte Mehrheitsmacht darüber hinaus auch durch solche Individualrechte begrenzt werde, die zwar ebenfalls zu den unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten gehörten, aber verzichtbar seien. Ein in solche Rechte eingreifender Beschluss sei nur dann wirksam...