Leitsatz
Der BGH gab in seinem Urteil vom 12.02.2007 dem Vorstand einer Genossenschaft Recht, der sich gegen eine fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrages gewehrt hatte. Ihm war gekündigt worden, weil er angekündigt hatte, Insolvenzantrag zu stellen. Die Genossenschaft war der Meinung, dass das pflichtwidrig gewesen sei, weil keine Insolvenzlage gegeben gewesen sei.
Hinweis
Vorstände und Geschäftsführer von Körperschaften kommen in schwierige Konfliktlagen, wenn ihre Gesellschaft in eine Insolvenzlage gerät. Grundsätzlich sind sie in solchen Situationen nach den gesetzlichen Vorschriften verpflichtet, unverzüglich, bei kurzfristiger und realistischer Aussicht auf Sanierung aber spätestens innerhalb von drei Wochen nach Feststellung der Insolvenzlage Insolvenzantrag zu stellen (§ 64 Abs. 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG, § 99 Abs. 1 GenG, § 130a Abs. 1 HGB, § 42 Abs. 2 BGB). Die Insolvenzantragspflicht ist strafbewehrt (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Der Geschäftsführer läuft Gefahr, Neugläubigern persönlich denjenigen Schaden ersetzen zu müssen, den sie durch Kreditgewährung der Schuldner in der Insolvenzlage erlitten haben (BGHZ 126, 181, 194; BGH, ZIP 2005, 1365, 1367) oder der Gesellschaft nach § 64 Abs. 2 GmbHG Zahlungen, die sie in der Insolvenzlage geleistet hat, erstatten zu müssen (BGHZ 146, 246). Die Gesellschafter möchten häufig den Insolvenzantrag vermeiden oder hinauszögern und versuchen dann, den Geschäftsführer zu beruhigen, ihn mit der Zusage von Gesellschafterdarlehen hinzuhalten oder auch massiv unter Druck zu setzen. All dies exkulpiert den Geschäftsführer nicht, bringt ihn aber gleichwohl in eine schwierige Situation, weil umgekehrt auch ein voreiliger Insolvenzantrag eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft begründen kann (§ 43 GmbHG; OLG Naumburg, NZG 2001, 136; Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999, Rz. 330 ff.; zum umgekehrten Fall der Kündigung wegen Insolvenzverschleppung siehe BGH, ZIP 2005, 1365 ff.).
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall wurde die Bestellung eines Genossenschaftsvorstandes widerrufen und sein Anstellungsvertrag fristlos gekündigt, weil der Vorstand eine Überschuldung festgestellt hatte und trotz eines vom Aufsichtsrat erarbeiteten Sanierungskonzepts die Stellung des Insolvenzantrages angekündigt hatte, weil er das Konzept für nicht realisierbar hielt. Auf der Basis des allgemeinen Grundsatzes, dass derjenige die Tatsachen zu beweisen hat, aus denen er für sich günstige Rechtsfolgen ableiten will, stellt der BGH fest, dass die kündigende Genossenschaft die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass die Genossenschaft nicht überschuldet war und der angekündigte Insolvenzantrag daher eine grobe Pflichtverletzung darstellte. Die Genossenschaft hatte sich allein auf die pauschale Behauptung gestützt, dass eine Überschuldung nicht vorgelegen habe, dies vom Aufsichtsrat in der gemeinsamen Sitzung mit dem Vorstand auch festgestellt worden sei und der Vorstand hiergegen keinen Widerspruch erhoben habe. Das genügt dem BGH auch schon deswegen nicht, weil sich der Vorstand danach anwaltlich und durch seinen Prüfverband beraten lassen hat und der angekündigte Insolvenzantrag der Beratungsempfehlung entsprach. Insbesondere billigt der BGH dem Vorstand im Hinblick auf die für ihn persönlich drohenden gravierenden Sanktionen einen gewissen Beurteilungsspielraum bei der Feststellung der Überschuldung zu (BGHZ 126, 181, 199). Dabei dürfe die Überschuldungslage auch nicht aus der Rückschau beurteilt werden, sondern es sei auf die Erkenntnismöglichkeiten des Vorstandes in der konkreten Situation abzustellen.
Fazit: Die Entscheidung stärkt Geschäftsführern und Vorständen den Rücken bei Diskussionen mit ihrem Aufsichtsrat oder ihren Gesellschaftern. Sie haben selbst und eigenständig zu prüfen, ob eine Überschuldung oder Illiquidität feststeht. Weder Aufsichtsrat noch Gesellschafter-, Haupt- bzw. Generalversammlung können die Vorstände/Geschäftsführer von dieser Pflicht und Verantwortung entbinden. Dementsprechend tragen sie die persönlichen Konsequenzen auch allein. Selbst wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Vorstände/Geschäftsführer die Lage falsch beurteilt haben, gereicht ihnen das im Verhältnis zur Gesellschaft nicht zum Nachteil, soweit sie aus der Sicht der damaligen Entscheidungssituation (ex ante) gewissenhaft auf fundierter Entscheidungsgrundlage und in vertretbarer Weise die Lage beurteilt haben. Dabei hilft ihnen in jedem Fall der in dieser Situation immer anzuratende sachverständige externe Rat. Folgen die Geschäftsführer einem solchen Rat, wird ihnen in der Regel eine schuldhafte Fehleinschätzung nicht vorgeworfen werden können.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 12.02.2007, II ZR 308/05