Leitsatz
Eine in der kritischen Zeit mit dem Schuldner getroffene Vereinbarung, nach der dieser berechtigt ist, sich durch eine andere als die eigentlich geschuldete Leistung von seiner Schuld zu befreien, ist inkongruent. Eine Stundungsvereinbarung der Finanzbehörde mit einem zahlungsunfähigen Schuldner, nach der Stundung gegen Abtretung einer Kundenforderung gewährt wird, ist auch dann inkongruent, wenn sich die Forderung des Schuldners ebenfalls gegen einen Träger hoheitlicher Gewalt richtet.
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH & Co. KG. Das Insolvenzverfahren wurde auf Antrag vom 17.12.2002 am 1.3.2003 eröffnet. Am 15.11.2002 trat die zahlungsunfähige KG alle ihr noch zustehenden Forderungen aus einem Vertrag mit dem Landkreis X über Elektroarbeiten an das beklagte Land ab. Die Abtretung wurde dem Drittschuldner angezeigt. Am 4.12.2002 stundete das beklagte Land der KG Umsatzsteuer und steuerliche Nebenleistungen für November 2001 bis Oktober 2002 von insgesamt 14380,33 EUR. Die Stundung erfolgte "gegen Sicherheitsleistung vom 15.11.02 an bis zur Auszahlung der abgetretenen Forderung durch den Landkreis". Bis zum 18.12.2002 erhöhte sich der gestundete Be-trag auf 19884,57 EUR. Der Drittschuldner zahlte lediglich 16353,09 EUR. Darauf widerrief das beklagte Land die Stundung des übersteigenden Betrages von 3531,48 EUR. Der Kläger hat die Forderungsabtretung in Höhe von 16353,09 EUR als inkongruente Deckung angefochten. Der BGH folgte seiner Auffassung.
Entscheidung
Die Abtretung vom 15.11.2002 liegt innerhalb der Frist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO und ist inkongruent im Sinne der Bestimmung. Denn sie hat dem beklagten Land eine Sicherung gewährt, die es im Zeitpunkt der Abtretung nicht zu beanspruchen hatte. Das Finanzamt konnte zwar sein Ermessen nach § 222 AO dahin ausüben, dass es die Steuerschuld nur "gegen Sicherheitsleistung" stundete. Die AO gewährt aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Sicherheit, also auch nicht auf Abtretung der Werklohnansprüche. Aus einem möglichen Rechtsanspruch auf Stundung folgt somit die in der InsO geforderte Kongruenz der Deckung gerade nicht.
Der besondere Umstand, dass die Stundung von der Finanzbehörde gewährt wurde, weil die Schuldnerin einen Zahlungsanspruch gegen einen Träger öffentlicher Gewalt geltend machen konnte, steht der Anfechtbarkeit der Abtretung nicht entgegen.
Im Streitfall hatte das Finanzamt den Zahlungsaufschub zunächst ohne Sicherheit gewährt und die Sicherheit erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin verlangt. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt bestand kein Anspruch der Schuldnerin mehr, einen Stundungsantrag Zug um Zug gegen Abtretung einer werthaltigen Kundenforderung durchzusetzen. Ihre organschaftlichen Vertreter hatten vielmehr ohne schuldhaftes Zögern die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Nach den handelsrechtlichen Bestimmungen darf der Verantwortliche der Schuldnerin ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr zahlen. Unter das Zahlungsverbot fällt auch die Hingabe von Sachen und Rechten ohne hinreichende Gegenleistung. Sinn und Zweck des mit der Ersatzpflicht des organschaftlichen Vertreters bewehrten Zahlungsverbots ist es, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine ihr nachteilige bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Wenn die Finanzbehörden eine Stundung bei anfechtbarer Annahme einer angebotenen Sicherheit ablehnen, liegt darin nach Meinung des BGH keine "erhebliche Härte" im Sinne des § 222 AO vor. Stundungsvereinbarungen gegen Abtretung werthaltiger Ansprüche begründen deshalb, wenn sie in der kritischen Zeit getroffen werden, generell den Verdacht einer krisenbedingten Vermögensverschiebung und sind vom Anwendungsbereich des § 131 InsO nicht auszunehmen.
Link zur Entscheidung
BGH-Urteil vom 29.9.2005, IX ZR 184/04