Leitsatz

Im Rahmen angefochtener Beschlussfassung (hier: Ersatz von aus Holz bestehender Balkonbrüstungen durch solche aus Stahl und Glas) sind tatrichterlich die gesetzlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 bis 3 WEG zu überprüfen, wobei Substanziierungsanforderungen auf Anfechtungsklägerseite hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast für Anfechtungsgründe nicht überspannt werden dürfen

 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 bis 3 WEG

 

Kommentar

  1. Eigentümer hatten vorliegend – sogar mit doppeltqualifizierter Mehrheit im Sinn des § 22 Abs. 2 WEG – beschlossen, unstreitig sanierungsbedürftige, aus Holz gefertigte Balkonbrüstungen"im Wege modernisierender Instandsetzung" durch solche aus Stahl und Glas zu ersetzen. Amtsgericht und Landgericht haben die Anfechtungsklagen abgewiesen, das Berufungsgericht mit der Begründung, dass es sich zwar um eine bauliche Veränderungsmaßnahme i. S. d. § 22 Abs. 1 WEG handle, Kläger allerdings insoweit gemäß § 14 Nr. 1 WEG mangels Beeinträchtigung duldungspflichtig seien. Aus objektiver Sicht sei zum einen nicht von einer optisch nachteiligen Veränderung auszugehen; zum anderen sei selbst dann nicht von einem Nachteil zu sprechen, wenn die Stahl- und Glaskonstruktion entsprechend klägerischer Behauptung 280.000 EUR kosten sollte, demgegenüber eine Sanierung der Holzbrüstungen nur 70.000 EUR. Auch ohne Beweisaufnahme sei hier davon auszugehen, dass die neu geplanten Balkonbrüstungen wetterbeständiger und dauerhafter seien.

    Der BGH hat die Berufungsentscheidung aufgehoben und den Streit zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

  2. Als Nachteil ist eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung konkreter und objektiver Art zu werten; nach Verkehrsanschauung muss sich hier ein Wohnungseigentümer in entsprechender Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen können (h. M.). Dabei sind die mit einer Maßnahme verbundenen Kosten und auch mögliche Haftungsfragen im Außenverhältnis nicht zu berücksichtigen, zumal nicht zustimmende Eigentümer bei einer Beschlussfassung im Rahmen des § 22 Abs. 1 WEG ohnehin von anteiliger Kostentragung befreit sind (vgl. § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG und BGH im sog. "Schwimmbad-Urteil" v. 11.11.2011, NJW 2012 S. 603).

    Muss von einer optischen Veränderung des gesamten Gebäudes gesprochen werden, ist in der Regel von einem Nachteil auszugehen, was bei Beschlussfassung allstimmige Zustimmung erfordert (nach wie vor umstrittene, jedoch vorherrschende Meinung). Ob optische Veränderungen vorteilhaft oder nachteilig sind, kann auch von Eigentümerseite unterschiedlich bewertet werden, selbst wenn eine solche Maßnahme dem gängigen Zeitgeschmack entspricht; eine Minderheit muss sich nicht immer dem Geschmack der Mehrheit fügen, sofern nicht entsprechende Mehrheits-Entscheidungsmacht der Gemeinschaft ohnehin nach § 22 Abs. 2 WEG (Modernisierung) bestehen sollte.

  3. Bezüglich der Neufassung des § 22 Abs. 2 WEG (Modernisierung) ergibt sich aus der Gesetzesbegründung eine erweiterte Beschlusskompetenz für Modernisierungsmaßnahmen, die nicht unterlaufen werden darf. Fehlt es an Voraussetzungen einer Modernisierungs-Beschlussfassung, können solche Maßnahmen wie hier nur durch allstimmige Beschlüsse gefasst werden.

    Vorliegend ist die Entscheidung noch nicht reif, ob die Beschlussfassung den Anforderungen des § 22 Abs. 2 WEG (Modernisierung) oder sogar des § 22 Abs. 3 WEG (modernisierende Instandsetzung) erfüllen könnte.

  4. Zunächst ist zu klären, ob es sich vorliegend um eine modernisierende Instandsetzung i. S. v. § 22 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG handelt; wäre dies zu verneinen, ist die Prüfung einer Modernisierungsmaßnahme nach § 22 Abs. 2 WEG vorzunehmen. Greifen beide Vorschriften nicht ein, handelt es sich um eine bauliche Veränderungsmaßnahme i. S. v. § 22 Abs. 1 WEG. Diese Einordnung ist entscheidend für die die Frage, ob hier die Balkonsanierung auch gegen die Stimmen der Klägerseite beschlossen werden konnte.
  5. Von modernisierender Instandsetzung mit ausreichender einfacher Mehrheitsbeschlussfassung ist zu sprechen, wenn eine über den Altzustand hinausgehende Reparatur eine technisch bessere oder wirtschaftlich sinnvollere Neuerungslösung darstellt. Abzustellen ist hier auf den Maßstab vernünftiger, wirtschaftlich denkender und erprobter Neuerungen gegenüber aufgeschlossener Hauseigentümer; dabei soll Wohnungseigentum auch nicht zum Schaden aller Eigentümer vorzeitig veralten und an Wert verlieren (h. M.). Insoweit ist eine Kosten-Nutzen-Analyse zu treffen, wobei sich Mehraufwendungen innerhalb eines angemessenen Zeitraums (in der Regel etwa 10 Jahre) amortisieren. Das Berufungsgericht hat insoweit Argumente größerer Wetterbeständigkeit der Neuerung bisher nicht belegt und auch das konkrete Einsparpotenzial nicht beziffert.
  6. Entsprechende Beschlusskompetenz kann sich auch aus § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG (Modernisierung) ergeben, wobei es keine Rolle spielt, dass im Beschlussantrag von "modernisierender Instandsetzung" gesprochen wurd...

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