Leitsatz
Der Kläger und die Mutter der am 24.6.1992 geborenen Beklagten waren seit September 1991 verheiratet. Die Ehe wurde im Februar 1999 geschieden.
Der Kläger erhob im Mai 2002 Vaterschaftsanfechtungsklage. Vor und auch nach der Eheschließung ging die Mutter der Beklagten der Prostitution nach und verhütete dabei regelmäßig durch den Gebrauch von Kondomen und orale Kontrazeptiva. Spätestens während der Schwangerschaft der Kindesmutter erfuhr der Kläger, dass sie der Prostitution nachging. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage nach Einholung eines Abstammungsgutachtens, das die Vaterschaft des Klägers ausschloss, statt.
Die Berufung des Klägers hiergegen wies das OLG mit der Begründung ab, die Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 BGB sei nicht gewahrt.
Hiergegen richtete sich die zugelassene Revision des Klägers.
Sachverhalt
siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Die Revision des Klägers war nicht erfolgreich.
Der Kläger gelte gem. Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB, § 1592 Nr. 1 BGB, als Vater der Beklagten, weil er zum Zeitpunkt ihrer Geburt mit deren Mutter verheiratet war. Das Berufungsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen, weil sie erst nach Ablauf der zweijährigen Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 BGB erhoben worden sei. Die Anfechtungsfrist habe nach § 1600b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 BGB bereits mit der Geburt der Beklagten am 24.6.1992 begonnen, weil dem Kläger damals schon bekannt gewesen sei, dass sie Kindesmutter der Prostitution nachging.
Grundsätzlich gehöre Mehrverkehr der Kindesmutter während der gesetzlichen Empfängniszeit zu den Umständen, deren Kenntnis die Anfechtungsfrist in Lauf setze. Dabei sei unerheblich, ob der Kläger daraus persönlich die Überzeugung gewonnen habe, dass die Beklagte nicht von ihm abstamme.
Auch die Versicherung der Kindesmutter, bei Verkehr mit anderen Männern stets Kondome benutzt zu haben, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Verhütung durch Benutzung von Kondomen sei nicht so zuverlässig, dass der Kläger davon ausgehen durfte, die Vaterschaft eines anderen Mannes sei trotz gewerbsmäßigen Mehrverkehrs der Kindesmutter fern liegend und praktisch ausgeschlossen. Zu den Umständen, deren Kenntnis die Anfechtungsfrist in Lauf setze, gehöre regelmäßig bereits ein einmaliger außerehelicher Geschlechtsverkehr der Kindesmutter während der gesetzlichen Empfängniszeit auch dann, wenn der Ehemann innerhalb dieser Zeit der Kindesmutter ebenfalls beigewohnt habe und es den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheine, dass das Kind aus dieser Beiwohnung stamme.
Die bloße Versicherung der Mutter, das Kind stamme von dem Ehemann ab, stehe dem Lauf der Anfechtungsfrist selbst dann nicht entgegen, wenn der Ehemann diese Versicherung geglaubt habe.
Die Regel, dass bereits die Kenntnis von einem außerehelichen Geschlechtsverkehr der Mutter während der Empfängniszeit die Anfechtungsfrist in Lauf setze, gelte allerdings nicht uneingeschränkt. Vielmehr komme es darauf an, ob sich aus der Tatsache des außerehelichen Verkehrs die nicht ganz fern liegende Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem Dritten ergebe. Ganz fern liegend könne die Möglichkeit einer solchen Abstammung dann sein, wenn der außereheliche Verkehr unter Begleitumständen stattgefunden habe, nach denen eine Empfängnis in hohem Maße unwahrscheinlich sei (BGH, Urt. v. 19.5.1978 - IV ZR 54/77, FamRZ 1978, 494 [495]).
Bei der Beurteilung dessen komme es nicht auf eine sachverständige Einschätzung an. Es sei vielmehr von dem Erkenntnisstand auszugehen, der bei einem verständigen Laien in der Regel erwartet werden könne (BGH, Urt. v. 14.2.1990 - XII ZR 12/89, MDR 1990, 817 = FamRZ 1990, 507 [509]; Urt. v. 5.10.1988 - IV b ZR 99/87, FamRZ 1989, 169 [170]).
Der BGH folgt insoweit der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach als allgemein bekannt vorausgesetzt werden könne, dass die Zuverlässigkeit der Verhütung mit Kondomen deutlich geringer sei als bei Einsatz anderer Verhütungsmittel wie etwa der "Pille".
Hinweis
Die Entscheidung des BGH macht deutlich, dass die zweijährige Frist zur Vaterschaftsanfechtung im Grundsatz dann beginnt, wenn der Ehemann Kenntnis von außerehelichem Geschlechtsverkehr der Ehefrau während der gesetzlichen Empfängniszeit erlangt. Auf eine Versicherung der Ehefrau, das Kind sei von ihm, dürfe er sich nicht verlassen. Nur in seltenen Ausnahmefällen könne von der Regel, das bereits die Kenntnis von einem außerehelichen Geschlechtsverkehr der Mutter während der Empfängniszeit die Anfechtungsfrist in Lauf setze, abgewichen werden, wenn sich aus der Tatsache des außerehelichen Verkehrs die nicht ganz fern liegende Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem Dritten ergäbe. Hierauf könne sich der Anfechtende allenfalls bei einmaligem Ehebruch und der regelmäßigen Einnahme der "Pille" berufen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 29.03.2006, XII ZR 207/03