Prof. Dr. Volker Römermann
Rz. 22
§ 5 FAO legt die Anzahl der Praxisfälle fest, die der Bewerber bzw. zukünftige Fachanwalt je nach Fachgebiet persönlich und weisungsfrei vor Antragstellung bearbeitet haben muss. Während die frühere Fassung des § 5 FAO "in der Regel" bestimmte Fallzahlen zum Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen forderte, "setzt" § 5 FAO in der ab dem 1.1.2003 geltenden Fassung den Erwerber dieser Fallzahlen "voraus".
Rz. 23
Gem. § 5 Abs. 1 lit. p FAO setzt der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Fachbereich Handels- und Gesellschaftsrecht voraus, dass der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung im Fachgebiet Handels- und Gesellschaftsrecht als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei bearbeitet hat:
Zitat
80 Fälle aus mindestens 3 verschiedenen Gebieten der Bereiche des § 14i Nr. 1 und 2 FAO, davon mindestens 40 Fälle, die gerichtliche Streitverfahren, Schieds- oder Mediationsverfahren und/oder die Gestaltung von Gesellschaftsverträgen oder die Gründung oder Umwandlung von Gesellschaften zum Gegenstand haben. Von diesen 40 Fällen müssen mindestens 10 Fälle gerichtliche Streitverfahren, Schieds- oder Mediationsverfahren und mindestens 10 Fälle die Gestaltung von Gesellschaftsverträgen oder die Gründung oder Umwandlung von Gesellschaften zum Gegenstand haben.
1. Definition des "Falles" i.S.d. § 5 FAO
Rz. 24
§ 5 Abs. 1 lit. p FAO verlangt mindestens Fälle aus drei verschiedenen Bereichen des § 14i Nr. 1 und Nr. 2 FAO. Hier stellt sich zunächst die Frage, was ein "Fall" i.S.v. § 5 FAO ist.
Die Teilnehmer des sog. Berliner Erfahrungsaustausches vom 30.11. und 1.12.2001, einem Treffen der Fachausschüsse aller Rechtsanwaltskammern, formulierten mit Ziff. II 6. 1 Satz 1 der sog. "Berliner Empfehlungen", ein Fall i.S.d. FAO sei die juristische Aufarbeitung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes, der sich von anderen Lebenssachverhalten dadurch unterscheide, dass die zu beurteilenden Tatsachen und die Beteiligten verschieden seien. Eventuelle Besonderheiten bei der Bestimmung des Begriffes Lebenssachverhalt seien für die einzelnen Fachgebiete zu definieren. Soweit Rechtsmittelverfahren besondere und neue Anforderungen ggü. der bisherigen Tätigkeit im Fall stellten, könne dies nach § 5 letzter Satz FAO a.F. (heute: § 5 Abs. 4 FAO) durch Gewichtung berücksichtigt werden.
Mit Urt. v. 6.3.2006 bestätigte der BGH diese Definition weitestgehend.
Rz. 25
Anwärter auf den Titel der jeweiligen Fachanwaltsbezeichnungen sollten im Zweifel die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FAO enthaltenen Fallzahlen immer ein wenig überschreiten, damit in der Fallliste einige Fälle zum "Streichen" enthalten sind.
Hinweis
Nicht nur eine schriftliche, sondern auch eine telefonische Beratung gilt als Fall. Allerdings sollte die Fallbearbeitung hinreichend dokumentiert – bspw. durch einen Aktenvermerk – und, wenn möglich, abgerechnet sein.
Rz. 26
Es gibt keine Vorgaben im Hinblick auf die Schwierigkeit eines Falles. Auch einfach gelagerte Fälle sind Fälle. Der Bewerber muss zunächst die Frage, ob ein Fall gewertet werden kann, von der Frage unterscheiden, wie er zu gewichten ist. § 5 Abs. 4 FAO erlaubt es der Kammer, je nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit des einzelnen Falles für diesen Fall zu einer höheren oder einer niedrigeren Gewichtung zu kommen. Der Umstand, dass der "Fall" in der zweiten Instanz behandelt wird, führt nicht zwingend zu einer höheren Gewichtung. Für die Gewichtung seien – so der BGH – die Bedeutung, der Umfang und die Schwierigkeit des jeweiligen Falles mit all seinen Besonderheiten relevant. Als Fälle anzuerkennen sind z.B.:
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Handelsregisteranmeldungen, |
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Beratungen über Wettbewerbsverbote, sofern es gesellschaftsrechtlichen Ursprungs ist, Geschäftsbesorgungsverträge unter Kaufleuten unter Beachtung des § 362 HGB, |
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kaufmännische Bestätigungsschreiben oder Zurückbehaltungsrechte nach § 369 HGB. |
2. Teilbereiche im Handels- und Gesellschaftsrecht
Rz. 27
Liest man § 5 Abs. 1 lit. p FAO weiter, stellt sich als nächstes die Frage, ob § 14i Nr. 1 FAO als seinerseits in drei verschiedene Bereiche aufgeteilt anzusehen ist (das Recht des Handelsstandes, der Handelsgeschäfte sowie das internationale Kaufrecht), obwohl § 14i Nr. 1 FAO nicht wie § 14i Nr. 2 FAO in verschiedene Buchst. a)–g) untergliedert wurde. Wäre dies der Fall, so könnte es ausreichen, wenn aus § 14i Nr. 1 FAO zwei Teilbereiche und aus § 14i Nr. 2 FAO nur einer der Teilbereiche Buchst. a)–g) mit Fällen belegt wäre. Bei genauer Betrachtungsweise wird man dieser Auslegung den Vorzug geben müssen, da es sachliche Gründe für die redaktionell unterschiedliche Gestaltung von § 14i Nr. 1 FAO einerseits und § 14i Nr. 2 FAO andererseits nicht gibt. Das insoweit maßgebliche Protokoll der Ausschusssitzung der Satzungsversammlung enthält keinerlei Hinweise auf einen möglichen Differenzierungsw...