Rz. 245
Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu denen i.d.R. auch Handwerksbetriebe gehören, liefert die Anwendung der Ertragswertmethode nach IDW S 1 nur eingeschränkte verwertbare Ergebnisse. Dies ist insb. darauf zurückzuführen, dass der Detaillierungsgrad der verfügbaren Planungsdaten nicht ausreichend ist und der Abhängigkeit des Unternehmenswerts von individuellen Eigenschaften des Inhabers, bestimmter Mitarbeiter, Lieferanten und einzelner Kunden bzw. Kundengruppen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Außerdem bleiben die individuelle Konkurrenzsituation und das individuelle Leistungsangebot sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken bei der Bewertung nach der Ertragswertmethode weitgehend unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) den sog. AWH-Standard geschaffen.
Rz. 246
Das Bewertungsverfahren nach dem AWH-Standard folgt dogmatisch der Ertragswertmethode, ist jedoch auf die Besonderheiten von kleinen und mittelständischen Handwerksunternehmen abgestimmt. Da in der handwerklichen Praxis im Regelfall kein die Strategie des Alteigentümers fortschreibendes, betriebswirtschaftlich fundiertes Planungsmodell existiert, bilden anstelle der für die Ertragswertmethode maßgeblichen Planungsdaten die Jahresabschlüsse der letzten drei bis fünf Jahre die Bewertungsgrundlage. Die Jahresüberschüsse sind um betriebsfremde und außerordentliche Aufwendungen bzw. Erträge zu korrigieren und hinsichtlich persönlich oder familiär motivierter Faktoren, z.B. unangemessener Entlohnung von Familienangehörigen, zu überprüfen. Da auch Zinsen und Skonti in kleineren Betrieben oftmals durch eine persönlich motivierte Finanz- und Entnahmepolitik des Inhabers beeinflusst werden, sind auch diese Posten kritisch zu hinterfragen.
Rz. 247
Eine wesentliche wertbeeinflussende Größe stellt der kalkulatorische Unternehmerlohn dar. Da dieser im Einzelfall kaum unstreitig ermittelt werden kann, ihm jedoch für das Bewertungsergebnis eine erhebliche Bedeutung zukommt, sieht der AWH-Standard hier einen pragmatischen Ansatz vor, der auf dem tariflichen Meistergehalt zuzüglich Arbeitgeberanteil für Sozialversicherung und 20 %–50 % Zuschlag für die Unternehmertätigkeit (Mehrarbeit, Haftung etc.) aufbaut. Die Angemessenheit des so ermittelten Ergebnisses ist jedoch im jeweiligen Einzelfall konkret zu überprüfen.
Rz. 248
Die Bewertung umfasst grds. die gesamte wirtschaftliche Unternehmenseinheit als "intakte Einkommensquelle". Vor diesem Hintergrund sind sämtliche Gegenstände des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sowie der betriebsnotwendige Waren- und Materialbestand einzubeziehen. Bei Übernahme zusätzlicher Werte, wie z.B. Forderungen, teilfertigen Leistungen etc., oder Verbindlichkeiten ist der ermittelte Ertragswert entsprechend anzupassen.
Die Bewertung erfolgt grds. ohne Betriebsgrundstücke und Gebäude. Die sich hieraus ergebenden Korrekturen werden im Bereich der kalkulatorischen Kosten erfasst.
Rz. 249
Auch nach dem AWH-Standard sind innerhalb der Bewertung die Steuern zu berücksichtigen. Dies erfolgt rechtsformindividuell. Die Gewerbesteuer wird (bei Einzelunternehmen bzw. Personengesellschaften abzüglich des Freibetrages gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 GewStG) individuell berechnet. Zinsen, Leasing-Raten, Mieten und Pachten werden mit den steuerlich gültigen Werten hinzugerechnet. Ebenso wird bei Personenunternehmen die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die private Einkommensteuer gem. § 35 EStG mit dem 3,8-fachen des Gewerbesteuermessbetrages berücksichtigt. Bei Personenunternehmen wird der "bereinigte Gewinn nach Steuern" durch Abzug von Gewerbesteuer und 35 % typisierter Einkommensteuer ermittelt.
Rz. 250
Bei der Bewertung von GmbHs wird grds. typisierend davon ausgegangen, dass die versteuerten und bereinigten Gewinne in vollem Umfang ausgeschüttet werden. Demzufolge ist der bereinigte Gewinn sowohl um den Gewerbesteueraufwand als auch um die Körperschaftsteuer- und Solidaritätszuschlagbelastung (15 % bzw. 5,5 % davon) zu vermindern; nur der danach verbleibende Nachsteuer-Gewinn steht für eine Ausschüttung zur Verfügung. Dieser unterliegt der 25 %igen Abgeltungssteuer (zuzüglich 5,5 % Solidaritätszuschlag).
Rz. 251
Im Hinblick darauf, dass der Wert der Nettozuflüsse aus dem Unternehmen mit dem Wert der Nettozuflüsse aus einer adäquat vergleichbaren Kapitalanlage verglichen wird, muss auch der anzuwendende Kapitalisierungszinssatz inkl. der Risikoaufschläge um die pauschale Abgeltungssteuer von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag korrigiert werden. Es wird typisierend angenommen, dass die Zuflüsse aus der alternativen Kapitalanlage der gleichen Steuerbelastung unterliegen wie die Unternehmensgewinne.
Rz. 252
Grundsätzlich erfolgt die Bewertung ohne Berücksichtigung der bisherigen bzw. zukünftigen Finanzierungsstruktur des Unternehmens. Im Falle der Übernahme von Verbindlichkeiten ist der ermittelte ertragswertorientierte Unternehme...