I. Substanzwertverfahren
Rz. 94
Der Substanzwert ergibt sich aus der Summe der Wiederbeschaffungs- bzw. Reproduktionswerte aller zum Unternehmen gehörigen Vermögensgegenstände (Aktiva) abzüglich der Schulden und sonstigen Verbindlichkeiten. Der Substanzwert orientiert sich grds. am Beschaffungsmarkt, nicht an den potenziell erzielbaren Veräußerungserlösen. Voraussetzung für die Bewertung nach dem Substanzwertverfahren ist, dass die Reproduktion, also der "Nachbau" des Unternehmens (aus der Sicht eines potenziellen Erwerbers) tatsächlich eine realistische Handlungsalternative darstellt. Tendenziell wird dies umso schwerer zu realisieren sein, je bedeutender die immateriellen Vermögensgegenstände (insb. der Firmenwert) für das Unternehmen sind, da diese nicht ohne weiteres von Dritten am Markt erworben werden können. In der Praxis kommt der "Nachbau" des Unternehmens meistens nicht in Betracht.
Rz. 95
Oftmals wird der Reproduktionswert für Fälle des Ausscheidens von Gesellschaftern bzw. für die Bemessung von deren Abfindung gesellschaftsvertraglich vereinbart. In sog. Abfindungs- oder Abschichtungsbilanzen sind zu diesem Zweck die einzelnen Vermögensgegenstände nicht, wie sonst handelsrechtlich geboten, mit ihren Buchwerten anzusetzen, sondern stattdessen mit ihren jeweiligen Wiederbeschaffungswerten. Dabei ist – anders als bei der Bestimmung des Liquidations- oder Zerschlagungswerts – von der Prämisse auszugehen, dass das Unternehmen fortgeführt wird.
Rz. 96
Selbst wenn darüber hinaus in der Abschichtungsbilanz noch ein zusätzlicher Posten für den sog. Firmenwert oder Good Will angesetzt wird, stellt der Substanzwert im Regelfall keinen wirklich realistischen Unternehmenswert dar. Denn ein funktionierendes Unternehmen als wirtschaftlicher Organismus ist meist weit mehr wert als nur die Summe seiner Teile. Der durch das planvolle Zusammenspiel der einzelnen Komponenten und die beim Substanzwertverfahren gar nicht berücksichtigte Qualität des Managements zu erwirtschaftende Mehrwert, also die erzielbaren Erträge finden bei dieser Art der Unternehmenswertermittlung keinen Niederschlag. Der Substanzwert gibt daher den tatsächlichen Wert eines nach dem Bewertungsstichtag fortgeführten Unternehmens nur sehr ungenau wieder. Großfeld bezeichnet ihn auch zutreffend als "Teil-Rekonstruktionswert". Erschwerend kommt hinzu, dass das Ausmaß oder auch nur die Richtung der Ungenauigkeit nicht abschätzbar sind.
Rz. 97
Vor diesem Hintergrund haben auch die zivilrechtliche Rechtsprechung und das entsprechende Schrifttum ihre frühere Präferenz des Substanzwertverfahrens inzwischen aufgegeben. Das gilt auch für sog. Mittelwertverfahren, die im Grunde genommen eine Kombination aus Substanz- und Ertragswertmethode darstellen und denen zufolge ein gewichtetes Mittel (z.B. 2:1 zugunsten des Ertragswerts) beider Werte als maßgeblicher Unternehmenswert angesehen wird. Dem Substanzwert kommen nach heutigem Stand aber vielfältige Hilfsfunktionen zu. Ein Rückgriff auf das Substanzwertverfahren ist nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung auch in solchen Fällen angebracht, in denen das zu bewertende Unternehmen im Wesentlichen aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen besteht und sich im Betriebsvermögen vor allem Grundstücke befinden, die keine zukünftigen Erträge erwarten lassen, aber erhebliche stille Reserven bergen.
Rz. 98
Vor dem Hintergrund des § 11 Abs. 2 S. 3 BewG, der eine für bewertungsrechtliche Zwecke bindende Vorgabe für die Bestimmung des Substanzwerts enthält, ist die Substanzbewertung nach rein betriebswirtschaftlichen Grundsätzen im Rahmen der Erbschaft- bzw. Schenkungbesteuerung – systemwidrig (vgl. Rdn 47 ff.) – nur von untergeordneter Bedeutung.