I. Vorbemerkung
Rz. 105
Die Vorgaben des IDW zur ordnungsgemäßen Durchführung ertragswertorientierter Unternehmensbewertungen sind nicht allein auf die Ermittlung von Stichtagswerten zugeschnitten. Vielmehr wird zwischen verschiedenen Bewertungsanlässen und verschiedenen Bewertungsperspektiven unterschieden. So ist etwa die Berücksichtigung sog. echter Synergieeffekte nur aus der Sicht eines konkreten Erwerbers sinnvoll, weil nur unter Einbeziehung der bei diesem vorhandenen betrieblichen bzw. unternehmerischen Gegebenheiten die Existenz bzw. die Auswirkung von Synergieeffekten beurteilt werden kann. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich vor diesem Hintergrund auf die Aspekte, die – nach IDW S 1 – die Ermittlung objektivierter Stichtagswerte betreffen.
II. Bewertungsansatz
Rz. 106
Nach überwiegender Ansicht in der Betriebswirtschaftslehre sowie nach den berufsständischen Empfehlungen der Wirtschaftsprüfer ist das Ertragswertverfahren (neben der im angloamerikanischen Raum stärker verbreiteten DCF-Methode, siehe Rdn 195 ff.) derzeit die im Regelfall maßgebliche Bewertungsmethode.
Rz. 107
Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens wird der Unternehmenswert durch Diskontierung der den Unternehmenseignern zukünftig zufließenden finanziellen Überschüsse ermittelt. Diese werden grds. aus den erwarteten, zukünftigen handelsrechtlichen Erfolgen des Unternehmens abgeleitet. Ausgangspunkt der Bewertung sind die den Unternehmenseignern zufließenden Einnahmen/Ausschüttungen.
Rz. 108
Diesem Ansatz liegt die Überlegung zu Grunde, dass ein Unternehmen nur so viel wert sein kann, wie sich in der Zukunft an Erträgen aus ihm erwirtschaften lässt. Der "wirkliche" Wert entspricht nach dieser Methode also dem zu erwartenden Zukunftserfolg.
Rz. 109
Somit kann – jedenfalls theoretisch – der richtige Unternehmenswert als Barwert aller zukünftig erzielbaren, auf den Bewertungsstichtag abgezinsten Unternehmenserfolge (= Einnahmeüberschüsse) ausgedrückt werden.
Rz. 110
Dieser in der Theorie einfach anmutende Bewertungsansatz erweist sich in der Praxis jedoch als nicht ganz unproblematisch, da der theoretisch als Bewertungsmaßstab dienende Einnahmeüberschuss bei bilanzierenden Unternehmen normalerweise gar nicht ermittelt wird.
Vielmehr spiegelt im handelsrechtlichen Jahresabschluss der Ertrag (Überschuss der Erträge über die Aufwendungen) den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wider. Da die handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze maßgeblich durch das Vorsichtsprinzip des § 252 Abs. 1 S. 4 HGB geprägt sind, ist der handelsrechtliche Jahresüberschuss nicht mit dem der Unternehmensbewertung zugrunde zu legenden Einnahmeüberschuss identisch. Aus diesem Grunde sind einige Bereinigungen/Modifikationen erforderlich, durch die die wesentlichen Grundgedanken der Einnahmeüberschussrechnung auf die aus dem Rechnungswesen des Unternehmens abgeleiteten Aufwands- und Ertragsrechnungen übertragen werden.
Rz. 111
Dennoch wird in der Praxis stets vom Ertrag bzw. Ertragswert gesprochen. Da es entscheidend auf die zukünftige Ertragskraft des Unternehmens ankommt, kann das Ertragswertverfahren auch als prognoseorientierte Bewertungsmethode bezeichnet werden. Der Geschäfts- oder Firmenwert (Good Will) ist grds. als wertbestimmender Faktor im Ertragswert enthalten, er wird also nicht gesondert in Ansatz gebracht.