Rz. 238
Wie das Gesetz kennt auch die Betriebswirtschaftslehre neben den nach ihrem dogmatischen Ansatz ertragswertorientierten Bewertungsmethoden (Ertragswertverfahren, DCF-Methode) andere Verfahren zur Bestimmung von Unternehmenswerten. Hierbei handelt es sich insb. um vereinfachte Preisfindungsverfahren, wie z.B. die Anwendung von Ergebnismultiplikatoren sowie von umsatz- oder produktmengenorientierten Multiplikatoren.
Rz. 239
Grundsätzlich sind zwei verschiedene Arten von Multiplikatoren (sog. Market Multiples) zu unterscheiden: Auf der einen Seite geben sog. Trading Multiples Verhältnisrechnungen wieder, die auf Kursen börsennotierter Unternehmen beruhen (z.B. Kurs/Gewinn-Verhältnis, KGV). Zum anderen bilden Transaction Multiples Verhältniszahlen ab, die von effektiven Preisen bei Unternehmensverkäufen abgeleitet wurden (EBIT-Multiple, Umsatz-Multiple, Produktmengen-Multiple). Die Trading Multiples spielen im Hinblick auf das gesetzlich geregelte Primat der Wertableitung aus aktuellen Börsenkursen (§ 11 Abs. 1 BewG) für die hier anzustellenden Betrachtungen keine Rolle. Nachfolgend wird daher nur die Bewertung anhand von Transaction Multiples erläutert.
Rz. 240
Bei Anwendung von Multiplikatoren ergibt sich der Preis für das Unternehmen als Produkt eines repräsentativ angesehenen Ergebnisses vor Steuern oder einer anderen Kenngröße mit einem branchen- bzw. unternehmensspezifischen Faktor. Dieser ist insb. Ausdruck der aktuellen (allgemeinen bzw. spezifischen) Kapitalkosten, der Risikoneigung potenzieller Erwerber sowie des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage für vergleichbare Unternehmen auf dem Markt. Nach Auffassung des IDW werden umsatz- oder produktmengenorientierte Multiplikatoren in der Praxis insb. zur Ermittlung der Marktpreise für kleinere Dienstleistungsunternehmen angewandt. Diese Marktpreise werden oftmals weitgehend durch den Wert des verkehrsfähigen Kundenstamms geprägt. Auch der Marktwert von freiberuflichen Praxen wird im Wesentlichen durch den übertragbaren Mandantenstamm bestimmt.
Rz. 241
Je nach verwendetem Multiple ist das Multiplikationsergebnis hernach noch zu modifizieren, um den für eine Kaufentscheidung schlussendlich maßgeblichen Wert zu ermitteln. Dies gilt insb. bei EBIT- bzw. EBIT/DA-Multiples. Denn hier wird der Unternehmenswert (Enterprise Value) auf der Grundlage einer Ertragsgröße berechnet, die zuvor um Zinsaufwendungen, Steuern und ggf. auch Abschreibungen bereinigt wurde. Die Finanzierungsstruktur des Bewertungsobjekts wird hier also durch die bloße Multiplikation des EBIT bzw. EBIT/DA nicht abgebildet. Daher muss zur Ableitung des Equity Value (Wert des Eigenkapitals) aus dem Enterprise Value noch ein Abzug der Verbindlichkeiten erfolgen. Wie die hier zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten zu definieren sind, bildet oftmals einen Streitpunkt zwischen den potenziellen Vertragsparteien (Käufer und Verkäufer). Oftmals wird in der Praxis auf die sog. zinstragenden Verbindlichkeiten abgestellt, wodurch insb. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und die meisten Rückstellungen aus den abzuziehenden Verbindlichkeiten ausgesondert werden. Allerdings ergeben sich auch hier regelmäßig unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Behandlung von Pensionsrückstellungen, die jedoch vom Grundsatz her i.d.R. als zinstragende Verbindlichkeiten und daher als Abzugsposten anzusehen sein werden.
Rz. 242
Auch bei Umsatz- bzw. Produktmengen-Multiples ist die vorbeschriebene Vorgehensweise zumeist erforderlich. Denn auch hier berücksichtigen die Multiplikatoren i.d.R. nicht die konkrete Finanzierungsstruktur des Unternehmens. Da auch eine "typische Finanzierungsstruktur" am Markt kaum feststellbar ist, wird daher bei der Multiple-Ermittlung, also der empirischen Erhebung von Marktdaten, regelmäßig auf Enterprise Values abgestellt.
Rz. 243
Nach Auffassung des IDW können Multiplikator-Verfahren nur zur Plausibilitätskontrolle von nach dem Ertragswert- oder dem DCF-Verfahren bestimmten Unternehmenswerten herangezogen werden. Diese Aussage steht jedoch im klaren Widerspruch zu den in der Bewertungspraxis anzutreffenden Verhältnissen. Dies gilt auch für die Bewertung von großen Unternehmen, die durch die "Entscheider" (Geschäftsführung, Vorstand) sehr häufig zunächst durch Anwendung von Multiples bewertet werden, und zwar sowohl bei strategischen Investitionen als auch bei Erwerben bzw. Veräußerungen durch Finanzinvestoren. Die Bewertung nach IDW S 1 bildet hier oft nur eine Kontrollüberlegung.
Rz. 244
Vor diesem Hintergrund müssen Multiplikatorverfahren grds. als "anerkannt" und "üblich" i.S.v. § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BewG gelten. Die Hauptschwierigkeit besteht aber im konkreten Einzelfall sowohl für die steuerliche als auch für die Anerkennung am Markt darin, eine unternehmensadäquate Bezugsgröße (EBIT, Umsatz etc.) auszuwählen und hierfür einen Multiplikator zu definieren, der aus einer mit dem konkreten Bewertungsobjekt vergleichbaren...