Rz. 121
Achtzugeben ist, wenn im Verbundverfahren eine volle und eine ermäßigte Verfahrensgebühr anfallen, so dass nach § 15 Abs. 3 zu kürzen sein kann. Nach einhelliger Rspr. ist erst anzurechnen und dann zu kürzen.
Beispiel: Der Anwalt ist im Scheidungsverfahren (Ehesache 9.000 EUR; Versorgungsausgleich 2.700 EUR) tätig. Außergerichtlich wird er mit der Geltendmachung von Trennungsunterhalt beauftragt, über den im Scheidungstermin eine Einigung erzielt wird.
Aus dem Wert des Scheidungsverbundverfahrens erhält der Anwalt eine 1,3-Verfahrensgebühr nach VV 3100. Aus dem Wert des Trennungsunterhalts entsteht die 0,8-Verfahrensdifferenzebühr. Hierauf ist zunächst die vorangegangene Geschäftsgebühr hälftig anzurechnen (VV Vorb. 3 Abs. 4). Erst danach ist die Kürzung nach § 15 Abs. 3 zu prüfen.
I. |
Außergerichtliche Vertretung Trennungsunterhalt (Wert: 6.000 EUR) |
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
507,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
527,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
100,13 EUR |
Gesamt |
|
627,13 EUR |
II. |
Verbundverfahren |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
|
865,80 EUR |
|
(Wert: 11.700 EUR) |
|
|
2. |
0,8-Verfahrensgebühr, VV 3100, 3101 Nr. 2 |
|
312,00 EUR |
|
(Wert: 6.000 EUR) |
|
|
3. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen, 0,65 aus 6.000 EUR |
|
– 253,50 EUR |
|
die Grenze des § 15 Abs. 3, nicht mehr als 1,3-Gebühr aus 17.700 EUR (1.001,00 EUR) ist nicht überschritten |
|
|
4. |
1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
|
924,00 EUR |
|
(Wert: 17.700 EUR) |
|
|
5. |
1,5-Einigungsgebühr, VV 1000 |
|
585,00 EUR |
|
(Wert: 6.000 EUR) |
|
|
6. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
2.453,30 EUR |
|
7. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
466,13 EUR |
Gesamt |
|
2.919,43 EUR |
Würde man dagegen im Verbundverfahren erst nach § 15 Abs. 3 kürzen und dann anrechnen, ergäbe sich folgende Berechnung im Verbundverfahren:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
865,80 EUR |
|
|
(Wert: 11.700 EUR) |
|
|
2. |
0,8-Verfahrensgebühr, VV 3100, 3101 Nr. 2 |
312,00 EUR |
|
|
(Wert: 6.000 EUR) |
|
|
|
gem. § 15 Abs. 3 nicht mehr als 1,3 aus 17.700 EUR |
|
1.001,00 EUR |
3. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen, 0,65 aus 6.000 EUR |
|
– 253,50 EUR |
4. |
1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
|
924,00 EUR |
|
(Wert: 17.700 EUR) |
|
|
5. |
1,5-Einigungsgebühr, VV 1000 |
|
585,00 EUR |
|
(Wert: 6.000 EUR) |
|
|
6. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
2.276,50 EUR |
|
7. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
432,54 EUR |
Gesamt |
|
2.709,04 EUR |
Rz. 122
Entsprechend ist anzurechnen, wenn eine Beratungshilfegeschäftsgebühr (VV 2503) nach Anm. Abs. 2 zu VV 2503 anzurechnen ist.
Rz. 123
Besondere Anrechnungsprobleme ergeben sich ferner insoweit, als hier oft mehrere außergerichtliche Geschäftsgebühren aus verschiedenen einzelnen außergerichtlichen Angelegenheiten auf eine einheitliche Verfahrensgebühr des Verbundverfahrens anzurechnen sind. In diesem Fall ist jede Geschäftsgebühr hälftig, höchstens zu 0,75 anzurechnen (VV Vorb. 3 Abs. 4).
Rz. 124
Strittig war, ob das Anrechnungsaufkommen zu begrenzen ist. Der BGH war der Auffassung, dass das Anrechnungsaufkommen nicht zu begrenzen sei, also dass jede Gebühr ungekürzt anzurechnen ist, selbst wenn danach die nachfolgende Verfahrensgebühr untergehe. Durch den mit dem KostRÄG 2021 neu eingefügten § 15a Abs. 2 S. 2 ist die Rechtslage jetzt geklärt. Es darf nicht mehr angerechnet werden als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Satz aus dem Gesamtwert der einzelnen Angelegenheiten.
Beispiel: Der Anwalt war außergerichtlich jeweils gesondert tätig hinsichtlich des Zugewinns (Wert: 20.000 EUR), der Überlassung der Ehewohnung (Wert: 4.000 EUR) sowie betreffend den Kindesunterhalt (Wert: 3.600 EUR). Abgerechnet hatte der Anwalt insoweit wie folgt:
I. |
Zugewinn (Wert: 20.000 EUR) |
|
|
1. |
1,0-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
822,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
842,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
159,98 EUR |
Gesamt |
|
1.001,98 EUR |
II. |
Ehewohnung (Wert: 3.000 EUR) |
|
|
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
333,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
353,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
67,07 EUR |
Gesamt |
|
420,07 EUR |
III. Unterhalt (Wert: 3.600 EUR) |
|
|
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
361,40 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
381,40 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
72,47 EUR |
Gesamt |
|
453,87 EUR |
Es kommt hiernach zum Scheidungsverfahren (Werte: Ehesache 6.000 EUR; Versorgungsausgleich 1.200 EUR). Zugewinn, Kindesunterhalt und Ehewohnungssache werden als Folgesache anhängig gemacht.
Angerechnet wird jeweils die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr, höchstens zu 0,75 angerechnet (hälftig (§ 15a Abs. 2 S. 1), jedoch nicht mehr als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Gebührensatz (also 0,75) aus dem Gesamtwert von 27.600 EUR (hälftig (§ 15a Abs. 2 S. 2):
IV. Verbundverfahren (Wert: 34.800 EUR) |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
|
1.346,80 EUR |
2. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen |
|
|
|
– 0,5 aus 20.000 EUR |
– 411,00 EUR |
|
|
– 0,75 aus 3.000 EUR |
– 166,50... |