Leitsatz
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der im Rahmen eines Systems zur Minderung der Doppelbesteuerung bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer Steuer herangezogen werden, die der von dem genannten Mitgliedstaat erhobenen ESt entspricht, die ausländische Steuer auf die ESt in diesem Mitgliedstaat in der Weise angerechnet wird, dass der Betrag der Steuer, die auf das in dem Mitgliedstaat zu versteuernde Einkommen – einschließlich der ausländischen Einkünfte – zu entrichten ist, mit dem Quotienten multipliziert wird, der sich aus den ausländischen Einkünften und der Summe der Einkünfte ergibt, wobei in dem letztgenannten Betrag Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände nicht berücksichtigt sind.
Normenkette
§ 34c Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 6 Satz 2, § 34d Nr. 6 EStG, Art. 56, Art. 57 Abs. 1 EG (= Art. 63, Art. 64 Abs. 1 AEUV)
Sachverhalt
Die Kläger wurden als Eheleute zusammen zur ESt veranlagt. Im Streitjahr 2007 erzielten sie Dividendeneinkünfte u.a. aus Beteiligungen (sog. Streubesitz) an Kapitalgesellschaften aus den Niederlanden, aus Frankreich, Luxemburg, den USA, aus Japan sowie der Schweiz.
Die Kläger beanstanden, dass das FA die darauf entfallende anrechenbare ausländische Steuer im Rahmen der Höchstbetragsberechnung gem. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG nur mit rd. 1.300 EUR ermittelte; die Nichtberücksichtigung der "überschießenden" ausländischen Quellensteuern von rd. 1.500 EUR sei jedenfalls insoweit – i.H.v. rd. 1.300 EUR – unions- (und ggf. verfassungs-)rechtswidrig, als sich infolge der entsprechenden ausländischen Einkünfte die deutsche ESt erhöhe.
Ihre Klage blieb erfolglos (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.7.2010, 1 K 332/09, EFG 2010, 1689).
Der BFH stimmte dem FG de lege lata zu. Er hielt die zugrunde liegende Rechtsfrage aus Sicht des Unionsrechts aber für zumindest zweifelhaft und auslegungsbedürftig und deswegen hatte er den EuGH angerufen (Beschluss vom 9.2.2011, I R 71/10 (BStBl II 2011, 500, BFH/NV 2011, 915, BFH/PR 2011, 263) und diesem die Rechtsfrage vorgelegt, ob die Regelungen in § 34c EStG über die Anrechnung ausländischer Steuern auf die festgesetzte deutsche ESt in Einklang mit der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit steht.
Entscheidung
Der EuGH ist der vom BFH in dessen Beschluss "angedeuteten" Vorlageantwort gefolgt: Die Höchstbetragsberechnung sei zumindest in Teilen unionsrechtswidrig.
Nunmehr wird es zum einen Sache der Beteiligten und des BFH sein, daraus für den Streitfall "Beker", und zum anderen Sache des Gesetzgebers sein, daraus allgemein die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Hinweis
1.Hat ein unbeschränkt Steuerpflichtiger ausländische Einkünfte, dann erlaubt die sog. Anrechnungsmethode als Regelmethode zur unilateralen Vermeidung der Doppelbesteuerung, die ausländischen Ertragssteuern auf die deutsche ESt anzurechnen, soweit sie auf ausländische Einkünfte entfällt.
2.Die Steueranrechnung ist nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG ihrer Höhe nach allerdings beschränkt, und zwar auf einen Anrechnungshöchstbetrag. Dieser Höchstbetrag ist in einer Verhältnisrechnung zu ermitteln:
Die deutsche ESt, die sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens einschließlich der ausländischen Einkünfte ergibt, wird im Verhältnis der ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt: Je geringer der Divisor valutiert, desto höher bemisst sich der Anrechungshöchstbetrag.
Nur bei der Ermittlung der tariflichen ESt, also des Dividenden in besagter Verhältnisrechnung, werden solche privat veranlasste Ausgaben der Lebensführung berücksichtigt, die vom Steuerpflichtigen im Inland steuerlich als Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind. Bei der Ermittlung des Divisors werden diese Positionen hingegen nicht einbezogen. Im Ergebnis hat das zur Folge, dass derartige privat veranlasste Ausgaben teilweise auch auf die ausländischen Einkünfte entfallen und dadurch das Anrechnungsvolumen mindern.
3. Die "Teilhabe" der ausländischen Einkünfte an jenen Abzugsposten hält, wie der EuGH nunmehr entschieden hat, unionsrechtlichen Anforderungen nicht stand.
Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und dessen sog. Schumacker-Doktrin sind derartige privat veranlasste Abzugsposten steuerlich vorrangig nicht von demjenigen Staat zu berücksichtigen, in dem die betreffenden Einkünfte erwirtschaftet werden, sondern von dem Wohnsitzstaat. Dieser Staat kann die persönlichen Verhältnisse und damit die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen am besten beurteilen (s. zu Ausnahmen davon aber auch das EuGH-Urteil vom 28.2.2013 – C-425/11Ettwein, in diesem Heft S. 217). Diese "Lastenverteilung" gilt bei dem "eigentlichen" Abzug der Positionen bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage, nicht minder aber bei der Errechnung des Anrechnungshöchstbetrages ...