Leitsatz

  1. Grundsätzlich keine Anfechtungsberechtigung eines Geschäftsordnungsbeschlusses zu einer Verfahrensfrage der konkreten Eigentümerversammlung (hier: Beschlussfassung zur Absetzung bestimmter TOP-Wünsche)
  2. Im Regelfall kein Anspruch eines gehbehinderten, hochbetagten Eigentümers, die Gemeinschaft zur Errichtung von Handläufen ohne bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu zwingen
  3. Allerdings Verpflichtung der anderen Eigentümer, die Errichtung eines Handlaufs in einem Lückenbereich einer Treppe (dortigem Zwischenpodest) zu Kostenlasten des Behinderten zu genehmigen bzw. zu dulden
  4. Nach § 14 Nr. 1 WEG ist Toleranz gegenüber Behinderten geboten (auch in Abwägung der Grundrechte)
 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1 und 22 Abs. 1 WEG; Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 14 Abs. 1 GG; § 36 Abs. 7 der Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen

 

Kommentar

  1. Ein Geschäftsordnungsbeschluss hinsichtlich einer Verfahrensfrage der Eigentümerversammlung kann grundsätzlich mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht selbstständig angefochten werden (h.M.). Ein solcher Beschluss erledigt sich mit Ablauf der jeweiligen Versammlung und kann allenfalls im Rahmen der Anfechtung eines anderen Sachbeschlusses incidenter eine Rolle spielen und überprüft werden. Eine ausnahmsweise eigenständige Anfechtung ist allein dann möglich, wenn ein (rechtswidriger) Beschluss zur Geschäftsordnung über die gegenwärtige Versammlung hinaus auch Rechtswirkungen für künftige Versammlungen haben soll (ebenfalls h.M.). Bei Absetzung erwünschter Tagesordnungspunke lässt ein solcher Geschäftsordnungsbeschluss keine Zukunftswirkungen erkennen, sodass die Anfechtung hierüber auch vom Amtsgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen wurde.
  2. Generelle Ansprüche eines Eigentümers auf Errichtung von Treppenhandläufen auf Kosten der Gemeinschaft bestehen nicht, da es sich insoweit um eine bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 WEG handelt und nicht um eine Reparatur- oder Modernisierungsmaßnahme. Auch eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Gemeinschaft zur Errichtung weiterer Treppenhandläufe bestand vorliegend nicht, da es in § 36 Abs. 7 BauO NRW um Absturzsicherungen von Treppen geht, nicht um wandseitige Handläufe.
  3. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Barrierefreiheit und grundgesetzlicher Abwägung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 sowie des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Verbot der Benachteiligung Behinderter), ergibt sich allenfalls eine Verpflichtung anderer Eigentümer, die Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu genehmigen, allerdings nicht zu Kostenlasten aller Beteiligten, wenn die Baumaßnahme eigennützig nur im Interesse des Veränderungswilligen liegt. Auch im Mietrecht besteht insoweit allein eine Duldungspflicht des Vermieters (BVerfG, NJW 2000 S. 2658). Auch beim Fluchtweg aus der Tiefgarage ist öffentlich-rechtlich kein Handlauf gefordert.
  4. Allerdings wurden die restlichen Eigentümer verurteilt, im Bereich des Zwischenpodests der Treppe vom Eintritt bis in die Tiefgarage zur Schließung einer Handlauflücke dort die Installation von Teilhandläufen auf Kosten des Klägers zu dulden. Eine genehmigende Beschlussfassung ist insoweit entbehrlich und kann durch gerichtliche Entscheidung ersetzt werden, wenn seitens der Gemeinschaft kein Ermessen besteht, weil ein Kläger Anspruch auf Duldung der begehrten Maßnahme im konkret begehrten Umfang – wie auch hier – hat. Insoweit sind die wechselseitigen Interessen im Rahmen des § 22 Abs. 1 WEG und § 14 Nr. 1 WEG einzelfallbezogen abzuwägen, auch unter wechselseitig grundrechtlich geschützten Interessen (OLG München, NZM 2008 S. 848). Dem Verbot der Benachteiligung Behinderter kommt dabei erhöhte Bedeutung zu, da von einem verständigen Miteigentümer erwartet werden darf und muss, dass er Toleranz auch und gerade gegenüber Behinderten aufbringt.
 

Link zur Entscheidung

LG Köln, Urteil vom 30.06.2011, 29 S 246/10

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge