Leitsatz
Unterlässt es der Berufungsanwalt, auf ein die Rechtsauffassung seines Mandanten stützendes Urteil des BGH hinzuweisen, und verliert der Mandant deshalb den Prozess, wird der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anwaltsfehler und dem dadurch entstandenen Schaden nicht deshalb unterbrochen, weil auch das Gericht die Entscheidung des BGH übersehen hat.
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
BGB §§ 249, 675
Kommentar
Die Vermieterin hat den Mieter im Jahr 2002 auf Zahlung restlicher Betriebskosten für die Jahre 1998 bis 2000 in Anspruch genommen. In den Betriebskostenabrechnungen waren jeweils Kosten für Versicherungen und Grundsteuer enthalten. Nach den mietvertraglichen Vereinbarungen waren diese Kosten nicht als umlagefähig vereinbart. Gleichwohl hat das Amtsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Hierzu ist zur Begründung ausgeführt, dass der Mieter diese Kosten in der Vergangenheit stets bezahlt habe. Der Mieter hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben, dass es die Ansicht des Amtsgerichts nicht teile. Demgemäß hat das Berufungsgericht das Urteil des Amtsgerichts in den fraglichen Punkten aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Das Urteil des Berufungsgerichts wurde am 11.2.2003 verkündet. Zu diesem Zeitpunkt existierte ein Urteil des BGH vom 29.5.2000 (XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463), in dem die Rechtsauffassung vertreten wird, dass eine Umlagevereinbarung durch die Abrechnung und Zahlung nicht geschuldeter Betriebskosten stillschweigend erweitert werden kann. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil übersehen. Der Rechtsanwalt der Vermieterin hat das Gericht nicht auf diese Entscheidung hingewiesen.
Die Vermieterin hat ihren Rechtsanwalt im Wege des Schadensersatzes wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrags auf Zahlung der vom Berufungsgericht abgewiesenen Beträge in Anspruch genommen. Der BGH hatte zu entscheiden, ob der Rechtsanwalt haftet, wenn er es unterlässt, das Gericht auf eine seiner Partei günstige höchstrichterliche Rechtsprechung hinzuweisen.
Dies wird vom BGH bejaht: Der Rechtsanwalt ist aufgrund des Anwaltsvertrags verpflichtet, alle zugunsten seines Mandanten sprechenden Gesichtspunkte geltend zu machen. Er darf sich nicht auf bloßen Tatsachenvortrag beschränken, sondern muss die Rechtslage unter besonderer Berücksichtigung der obergerichtlichen Rechtsprechung sorgfältig prüfen. Erkennt er, dass das Gericht eine seinem Mandanten günstige Rechtsprechung übersieht, so muss er das Gericht hierauf hinweisen. Unterbleibt dies, liegt hierin eine fahrlässige Pflichtverletzung, für die der Rechtsanwalt einstehen muss.
Allerdings hat die Pflichtverletzung nicht ohne Weiteres zur Folge, dass der Rechtsanwalt seinen Mandanten so zu stellen hat, wie dieser bei einem gewonnenen Prozess stehen würde. Vielmehr muss das Regressgericht selbstständig prüfen, wie der Rechtsstreit zu entscheiden ist. An die Rechtsauffassungen des Gerichts des Vorprozesses ist das Regressgericht nicht gebunden. Im Entscheidungsfall hatte das Regressgericht diese Prüfung unterlassen. Aus diesem Grund hat der BGH das Verfahren an das Regressgericht zurückverwiesen.
BGH-Rechtsprechung zur Umlagevereinbarung
Zur Frage, ob eine Umlagevereinbarung durch die Abrechnung und Bezahlung nicht geschuldeter Kosten geändert wird, liegen mehrere Entscheidungen des BGH vor.
1. BGH, Beschluss v. 29.5.2000, XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463
Zahlt der Mieter über mehrere Jahre hinweg die sich aus der jeweiligen Betriebskostenabrechnung ergebende Nachforderung an den Vermieter, so kann auf diese Weise eine stillschweigende Erweiterung der Umlagevereinbarung zustande kommen. Maßgeblich ist, ob der Vermieter die Zahlungen des Mieters als stillschweigendes Einverständnis zur Erweiterung der Umlagevereinbarung verstehen durfte.
2. BGH, Urteil v. 7.4.2004, VIII ZR 146/03, NJW-RR 2004, 877
Zahlt der Mieter jahrelang bestimmte Betriebskosten, obwohl er nach den Vereinbarungen im schriftlichen Mietvertrag dazu nicht verpflichtet ist, so kann auf diese Weise die Umlagevereinbarung erweitert werden. Der Mieter ist dann auch für die Zukunft zur Zahlung dieser Betriebskosten verpflichtet.
3. BGH, Urteil v. 10.10.2007, VIII ZR 279/06, NJW 2008, 283
Rechnet der Vermieter über Betriebskosten ab, die von der Umlagevereinbarung nicht erfasst sind, so ist die Annahme einer stillschweigenden Erweiterung der Umlagevereinbarung nur möglich, wenn der Vermieter nach den Gesamtumständen davon ausgehen kann, dass der Mieter einer Umlage weiterer Betriebskosten zustimmt.
Die Entscheidung zu 1. beruht auf der Annahme, dass in der Übersendung einer Abrechnung über nicht geschuldete Betriebskosten ein an den Mieter gerichtetes Angebot zum Abschluss eines Vertrags über die Erweiterung der Umlagevereinbarung liegen kann und dass es möglich ist, die Zahlung nicht geschuldeter Betriebskosten durch den Mieter als Vertragsannahme zu werten. Dagegen kann die Entscheidung zu 2. dahingehend interpre...