Entscheidungsstichwort (Thema)

Diskriminierung. Einstellung. Geschlecht. Darlegungs- und Beweislast. Beweismaß. Glaubhaftmachung. Indizien. Vermutung. überwiegende Wahrscheinlichkeit. Vier-Augen-Gespräch. non liquet

 

Leitsatz (amtlich)

I. Tatsachen lassen eine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals schon dann i.S.d. § 22 AGG „vermuten”, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bei freier Beweiswürdigung aus der Sicht einer objektiv verständigen Person der Schluss auf ein Handeln „wegen” eines Diskriminierungsmerkmals überwiegend wahrscheinlich ist.

II. Eine Nichteinstellung „wegen” des Geschlechts i.S.d. § 22 AGG liegt auch dann vor, wenn für die Nichteinstellung zugleich andere Gründe entscheidend waren. Der Anspruchssteller muss nicht vortragen, dass eine bestimmte Behandlung ausschließlich auf einem Merkmal nach § 1 AGG beruhte. Ausreichend ist, wenn in einem „Motivbündel” das verpönte Merkmal enthalten war. Die bessere Eignung eines anderen Bewerbers schließt eine Benachteiligung nicht aus (vgl. BAG [05.02.2004] – 8 AZR 112/03 – NZA 2004, 540; BAG [12.09.2006] – 9 AZR 807/05 – NZA 2007, 507).

III. Tatsachen „Indizien”) sind im Sinne des § 22 AGG schon dann „bewiesen”, wenn sie „überwiegend wahrscheinlich” gemacht sind. Trotz eines unterschiedlichen Wortlauts gilt für § 22 AGG nichts anderes als das, was schon für § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. und entsprechend für § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX a.F. galt (zu § 611a BGB a.F.: vgl. BAG [05.02.2004] – 8 AZR 112/03 – NZA 2004, 540; zu § 81 SGB IX a.F.: BAG [12.09.2006] – 9 AZR 807/05 – NZA 2007, 507).

IV. Kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit streitiger Indizien nicht bewiesen werden, geht dieses non liquet auch nach § 22 AGG zu Lasten der klagenden Partei.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3, 7, 15 Abs. 2, 4, § 22; ArbGG § 61b Abs. 1; BGB § 611a Abs. 1 S. 3 a.F.; SGB IX § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 a.F.; ZPO §§ 286, 294; RL 97/80/EG Art. 4 Abs. 1; RL 2000/78/EG Art. 10; RL 2000/43/EG Art. 8

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.152,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung wegen einer streitigen Einstellungsdiskriminierung.

Die am … geborene Klägerin hat erfolgreich ein Hochschulstudium der … absolviert und weist eine Vielzahl weiterer Abschlüsse und praktischer Erfahrungen auf.

Beklagte ist die B., vertreten durch den D.

Die Klägerin bewarb sich im Jahr 2005 vergeblich auf eine vom D. ausgeschriebene Stelle.

Rund die Hälfte des Dienstpersonals des D. im Bereich des Amtes des W. sind Frauen, darunter eine Referentin. Bis vor kurzem teilten sich zwei teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen die Position einer Referatsleitung, bevor sie zur Vollzeitbeschäftigung zurückkehrten.

Die Beklagte schrieb unter dem 1. November 2006 für den Bereich des Amtes des W. eine Stelle für „eine Referentin/einen Referenten” aus. Als Qualifikationserfordernis wurde unter anderem angegeben: „abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium vorzugsweise der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften”. Die Ausschreibung enthielt auch den Passus: „Die Verwaltung des D. gewährleistet die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern und ist bestrebt, den Frauenanteil im genannten Beschäftigungsbereich zu erhöhen. Bewerbungen von Frauen sind ausdrücklich erwünscht.” Die Stellenausschreibung war bis zum 3. November 2006 befristet.

Die Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 1. November 2006 auf die Stelle. Die Bewerbung der Klägerin ging am 6. November 2006 im Personalreferat der Verwaltung des D. ein. Es gab für die ausgeschriebene Stelle nur wenige weibliche Bewerberinnen. „Eine der Hauptkontaktpersonen in Auswahlverfahren” (so die Beklagte selbst) ist die Zeugin Frau C. Die Klägerin wurde – als einzige weibliche Bewerberin – zu einem Vorstellungsgespräch geladen. Als Vorstellungstermin wurde der Klägerin der 13. Dezember 2006, 10.00 h genannt.

Die Klägerin rief am 4. Dezember 2006 die Zeugin Frau C. an und bat darum, den Termin zu verschieben. Die Zeugin Frau C. kam der Klägerin entgegen. Beim Telefonat erklärte die Zeugin Frau C. der Klägerin sinngemäß unter anderem, dass die Personalabteilung die Klägerin als einzige weibliche Bewerberin durchgesetzt habe.

Am 13. Dezember 2006 kam es dann zum Vorstellungsgesprüch. Die Referentin Frau B. begrüßte die Klägerin unter anderem mit den Worten „…besonders freut sich die Gleichstellungsbeauftragte, dass sie heute hier sind”.

Am 17. Januar 2007 erhielt die Klägerin eine Absage.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 23. Januar 2007 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. In dem anwaltlichen Schreiben heißt es unter anderem, die Zeugin Frau C. habe im Telefonat gegenüber der Klägerin erklärt, dass ‚der W. keine Frau wolle’.

Die Beklagte lehnte einen Entschädigungsanspruch der Klägerin mit Schreiben vom 6. Februar ...

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