Entscheidungsstichwort (Thema)
Diskriminierung. Altersdiskriminierung. Tarifvertrag. Grundvergütung. Alter. Staffelung. unmittelbare Benachteiligung. Lebenserfahrung. Dienstjahr. Berufsjahr. Cadmann-Entscheidung. Lohngleichheitssatz. Geschlechtsdiskriminierung. Gleichstellungsanspruch. allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz. Tarifautonomie. Anpassung nach oben. Vertrauensschutz. unechte Rückwirkung. Vertrauenstatbestand. allgemeiner Gleichheitssatz. Mangold-Entscheidung. Verhältnismäßigkeit. Übergangsfrist. Anpassungsfrist. Ausschlussfrist. Aussetzung. Kostenlast. primärrechtliches Altersdiskriminierungsverbot. ungeschriebener Rechtsgrundsatz. Anspruchsgrundlage. Rückwirkungsschutz. Vorlagepflicht. Schadensersatzanspruch. Ortszuschlag. mittelbare Benachteiligung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Staffelung der Grundvergütung nach dem Lebensalter gemäß § 27 A Abs. 1 BAT i.V.m. dem Anwendungstarifvertrag des Landes Berlin vom 31. 7. 2003 ist eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. §§ 1, 3 AGG, die nicht nach den §§ 10, 5, 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt und daher nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist.
2. Nach § 8 Abs.2 AGG besteht nunmehr für alle Diskriminierungstatbestände für die Vergangenheit und für die Zukunft ein Anspruch auf Gleichstellung mit den (meist-) begünstigten Arbeitnehmern „Anpassung nach oben”), bis es zu einer Neuregelung kommt – auch wenn dies eine ganze Vergütungsordnung betrifft.
3. Für den vor dem Inkrafttreten des AGG am 18. 8. 2006 vereinbarten Anwendungstarifvertrag des Landes Berlin aus dem Jahr 2003 gilt ein Vertrauensschutz, Art. 20 III GG. Den Tarifvertragsparteien ist eine Übergangsfrist für eine Neuregelung zu gewähren. Nach fruchtlosem Fristablauf ist eine staatliche Festsetzung i.V.m. § 612 Abs. 2 BGB möglich und geboten.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1-3, Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; EGV Art. 13, 141, 234 Abs. 3; EGV ex-Art. 119; RL 2000/78/EG; Carta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 21; AGG §§ 1, 3, 5, 7 Abs. 1-2, § 8 Abs. 1-2, § 10 S. 3 Nrn. 3, 2, Sätze 1-2, § 15 Abs. 1, 3-4; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 12a, 61b; BGB §§ 134, 612 Abs. 1-2, 3 a.F.; BVerfGG; TVG § 9; TzBfG § 14 Abs. 3 S. 4; ZPO § 148 ff., § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1, § 308; BAT § 27A Abs. 1; BAT § 27A Abs. 2; BAT § 29B; Anwendungs-TV Land Berlin vom 31. 7. 2003
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 23.937,28 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt unter Berufung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Einordnung in die höchste Lebensaltersstufe und in eine höhere Ortszuschlagsstufe seiner Vergütungsgruppe.
Der am … 1967 geborene, 39-jährige, keiner Person unterhaltspflichtige und zu 60 % schwerbehinderte Kläger ist seit dem 16. 3. 1998 beim Land Berlin beschäftigt. Die Parteien vereinbarten arbeitsvertraglich die Geltung der Tarifverträge des Landes Berlin. Das beklagte Land wendet den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) an. Zuletzt auf der Grundlage des Tarifvertrages zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungs-TV) vom 31. 7. 2003 i.d.F. des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 25. 8. 2004 in hier nicht interessierender Modifizierung. Der Kläger ist Geschäftsführer eines landeseigenen Pflegeheimbetriebes und in die Vergütungsgruppe I a BAT eingruppiert. Seine Grundvergütung beträgt 3.336,09 EUR brutto (Lebensaltersstufe 39), sein Ortszuschlag Stufe 1 497,45 EUR brutto. Die Grundvergütung der Lebensaltersstufe 47 beträgt 3.787,14 EUR, der Ortszuschlag Stufe 3 (u.a. für Kindergeldberechtigte) 671,23 EUR brutto.
Der Kläger begehrt letztlich die Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen seiner Lebensalters- und Ortszuschlagsstufe zur Lebensaltersstufe 47 und Ortszuschlagsstufe 3 seit Inkrafttreten des AGG. Der Kläger machte dies zunächst mit Schreiben vom 31. 10. 2006 geltend. Nach Ablehnung durch das beklagte Land verfolgt der Kläger mit der am 29. 1. 2007 bei Gericht eingegangenen und dem beklagten Land am 8. 2. 2007 zugegangenen Klage sein Begehren weiter.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Staffelung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen in § 27 A BAT und die unterschiedliche Bemessung der Ortszuschlagsstufen in § 29 B BAT gegen das AGG verstößt. Konsequenz sei nach dem AGG ein Anspruch auf Gleichstellung mit den Begünstigten.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger rückwirkend zum 1. 9. 2006 in die Vergütungsgruppe BAT I a, Lebensaltersstufe 47, Ortszuschlagsstufe 3, einzuordnen,
hilfsweise die Benachteiligung des Klägers durch seine Einstufung nach BAT, Vergütungsgruppe I a, Lebensaltersstufe 37, Ortszuschlagsstufe 1 zu beseitigen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land ist der Ansicht, dass das Vergütungssystem des § 27 A BAT nach § 10 AGG gerechtfertigt sei. § 27 A BAT verfolge die Honorierung der mit höherem Alter verbundenen größeren Lebens- und Berufserfahrung sowie der längeren Betriebstreue a...