Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung. Arbeitsort. Versetzungsvorbehalt. Direktionsrecht. Inhaltskontrolle. Vorrang der Leistungsklage. Schadensersatz. Vertretenmüssen. vermeidbarer Rechtsirrtum
Leitsatz (amtlich)
1. Individualrechtliche Grundlage einer Versetzung an einen anderen Arbeitsort ist
2. Versetzungsvorbehalte im hergebrachten Sinne oder andere – ggf. im Wege der Auslegung zu ermittelnde – Aussagen im Arbeitsvertrag zum Arbeitsort führen zur Festlegung der Arbeitsbedingungen im Sinne von § 106 Satz 1 GewO und schränken das Direktionsrecht des Arbeitgebers ausschließlich ein.
3. Festlegungen des Arbeitsortes im Sinne von Leitsatz 2. können durch (weiteren) Versetzungsvorbehalt aufgeweitet werden und das Direktionsrecht des Arbeitgebers wieder ausweiten. Solche Versetzungsvorbehalte in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen der Inhaltskontrolle, die jedoch das weite gesetzliche Versetzungsrecht aus § 106 Satz 1 GewO zu achten hat (Anschluss an BAG vom 11. April 2006 – 9 AZR 557/05).
4. Begehrt der Arbeitsnehmer Rechtsschutz gegen eine Versetzung an einen anderen Arbeitsort, muss er Leistungsklage erheben. Die Feststellungsklage – etwa auf fehlende Arbeitspflicht am neuen Arbeitsort – ist in Ermangelung eines vollstreckbaren Inhaltes (§ 62 Abs.1 Satz 1 ArbGG) jedenfalls in der Privatwirtschaft ineffektiv und damit unzulässig (gegen BAG vom 9. März 2005 – 5 AZR 231/04 m.w.N.).
5. Der Arbeitgeber haftet dem Arbeitnehmer auf Schadensersatz nach einer rechtswidrigen Versetzung an einen anderen Arbeitsort nur dann, wenn er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Versetzung rechtswidrig ist. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum schließt das Vertretenmüssen aus (Anschluss an BAG vom 13. Juni 2002 – 2 AZR 391/01).
Tenor
I.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.472,– EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2005 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Rechtsstreites hat der Kläger diejenigen Kosten zu tragen, die durch das Anrufen des örtlich unzuständigen Arbeitsgerichtes Freiburg verursacht worden sind. Im Übrigen hat der Kläger 5/12 und die Beklagte 7/12 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III.
Der Wert der Beschwer des Klägers wird auf 2.470,– EUR, der Wert der Beschwer der Beklagten auf 3.472,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche.
Der Kläger trat zum 01. Juli 2002 gegen ein monatliches Entgelt von 5.000,00 EUR brutto bei der Beklagten in ein Arbeitsverhältnis als Marktleiter. In dem am Unternehmenssitz in Berlin abgeschlossenen Arbeitsvertrag unter dem 28. Juni 2002 heißt es unter § 2:
„I. Herr R. wird als Marktleiter eingestellt.
II. Die Firma behält sich vor, ihm eine andere zumutbare Arbeit im Betrieb zuzuweisen, die den Vorkenntnissen entspricht.”
Der Kläger wurde als Leiter des Marktes in Villingen-Schwenningen eingesetzt. Dieser Markt wurde durch die Beklagte zum 29. Februar 2004 geschlossen. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben unter dem 25. Februar 2004 auf. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen zum Aktenzeichen 13 Ca 72/2004 (im folgenden: Kündigungsschutzverfahren). Am 09. Juni 2004 wurde ein klagestattgebendes Urteil verkündet. Tragend hierfür war, dass der Beklagten zum Kündigungszeitpunkt die Möglichkeit eröffnet gewesen war – sei es durch Direktionsrechtsausübung, sei es durch Änderungskündigung –, den Kläger auf eine offene Marktleiterposition im Markt Esslingen umzusetzen.
Mit Schreiben unter dem 13. Juni 2004 ließ die Beklagte den Kläger wissen, dass sie auf das Rechtsmittel gegen vorstehendes Urteil verzichte und ihn zur Arbeit auffordere. Am 21. Juni 2004 kam es zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter der Beklagten in Berlin. Dem Kläger wurde eröffnet, dass er ab dem 02. August 2004 als Marktleiter in der Filiale Magdeburg eingesetzt werden werde. Der Kläger reagierte dergestalt, dass er vor dem Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Aktenzeichen 13 Ga 1/2004 anhängig machte. In diesem Verfahren obsiegte er am 02. August 2004 insoweit, als er in der Zeit vom 02. bis 23. August 2004 seinen Urlaubsanspruch realisieren konnte. Er unterlag hingegen insoweit, als er sich gegen die Versetzung nach Magdeburg wandte. Insoweit verneinte das Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen die Eilbedürftigkeit der Sache. Mit Schreiben unter dem 23. August 2004 (Bl. 89 d. A.) teilte der Kläger der Beklagten daraufhin mit, dass er unter Vorbehalt der Arbeitspflicht in Magdeburg nachkommen werde. Tatsächlich trat er am 24. August 2004 seine Tätigkeit als Marktleiter in Magdeburg an.
Parallel hierzu führte der Kläger den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen zum Aktenzeichen 13 Ca 185/2004 (im...