Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, den Zutritt von betriebsfremden Beauftragten der Klägerin in dem Betrieb Bad Homburg zu gestatten, damit diese Gewerkschaftsbeauftragten während der Mittagsöffnungszeiten der Kantine dort Mitgliederwerbung durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern betreiben können.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Wunsch der Klägerin, durch betriebsfremde Beauftragte in dem Betrieb der Beklagten in B. Mitglieder zu werben.
Vor dem Hintergrund der Übertragung des gesamten deutschen Geschäftsbetriebs der C. zum 1. November 2002 auf die Beklagte mit der Folge eines erheblichen Personalabbaus erwirkte die Klägerin am 29. November 2002 im Wege der einstweiligen Verfügung das Zutrittsrecht von betriebsfremden Beauftragten zum Betrieb der Beklagten in B., um in der Zeit von 11.30 Uhr biß 14.00 Uhr vor der Kantine Einladungsflugblätter zu einer Informationsveranstaltung der Klägerin mit dem Thema „Fusionsbedingte Konsequenzen für die Arbeitnehmer und die Aufgaben der Gewerkschaften” zu verteilen.
Die Klägerin behauptet unbestritten, sie beabsichtige Werbemaßnahmen so durchzuführen, dass während der Mittagspause, d.h. während der Öffnungszeiten der Kantine, im Betrieb Schriftmaterial verteilt wird. Auf diese Weise, meint die Klägerin, sei sichergestellt, dass jedwede Beeinträchtigung des betrieblichen Geschehens unterbleibt. Ihre in dem Betrieb der Beklagten organisierten Mitglieder, so behauptet die Klägerin, hätten sie gebeten, Werbemaßnahmen durch außerbetriebliche Beauftragte durchzuführen. Sie wollten selbst nicht gewerkschaftlich aktiv werden, weil sie Repressalien befürchteten.
Die Klägerin ist der Meinung, das von ihr beanspruchte Recht der Mitgliederwerbung durch betriebsfremde Beauftragte im Betrieb der Beklagten stehe ihr aus Art. 9 Abs. 3 GG zu. Auf die Argumentation unter Ziffer 5 in der Klageschrift wird ergänzend Bezug genommen (Bl. 3–5 d.A.).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Zutritt von betriebsfremden Beauftragten der Klägerin in den Betrieb B. zu gestatten, damit diese Gewerkschaftsbeauftragten während der Mittagsöffnungszeiten der Kantine dort unter Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsfriedens und der Betriebsabläufe Mitgliederwerbung betreiben können durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Meinung, dass ein allgemeines Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Betrieb des Arbeitgebers ohne dessen Einwilligung nicht besteht.
Die Klägerin könne nicht unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG und unter Beiseiteschieben ihrer eigenen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, 13 und 14 GG in ihre Betriebe eindringen. Das sei auch gar nicht erforderlich, denn die betriebliche Gewerkschaftsarbeit könne ohne weiteres von den gewerkschaftlich organisierten Betriebsangehörigen übernommen werden. Insoweit weise sie entschieden die Behauptung zurück, dass Mitglieder der Klägerin irgendwelche Repressalien zu befürchten hätten, wenn sie Werbung für die Klägerin im Betrieb (in den Pausen) durchführen oder ihren Standpunkt vertreten.
Wollte man ein allgemeines Zutrittsrecht zulassen, bestünde wegen der kaum möglichen Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Betätigungsformen die Gefahr des Missbrauchs. Es könne beispielsweise besonders werbewirksam sein, wenn nicht nur einer oder eine handvoll betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte das Zutrittsrecht zum Betrieb begehren, sondern Dutzende oder Hunderte aus anderen Betrieben stammende „Beauftragte”.
Schließlich stehe ihr als nicht tarifgebundene Beklagte auch das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit gegenüber dem Begehren der Klägerin zur Seite.
Wegen der Einzelheiten ihrer rechtlichen Argumentation wird auf die Darlegungen unter IV–VI. der Klageschrift vom 13. Januar 2003 in dem Verfahren 1 Ca 503/03 verwiesen, auf die sich die Beklagte auch in diesem Rechtsstreit bezogen hat.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Klägerin steht für das von ihr begehrte „allgemeine Zutrittsrecht” betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Betrieb der Beklagten in B. Art. 9 Abs. 3 GG als Anspruchsgrundlage zur Seite.
Dem Klagebegehren steht nicht entgegen, dass die Klägerin „als solche” den Grundrechtsschutz aus Art. 9 Abs. 3 GG in Anspruch nimmt. Das Gericht folgt der von der Beklagten favorisierten Argumentation Pickers (NZA 2002, 761 ff.) nicht, sondern hält mit dem Bundesverfassungsgericht daran fest, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben oder sie zu verlassen, schützt. Geschützt ist auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen,...