Entscheidungsstichwort (Thema)
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Tenor
Das Bundesverfassungsgericht wird ersucht, darüber zu entscheiden,
ob § 99 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz auch insoweit mit dem Grundgesetz, insbesondere Arteil 9 Abs. 3, vereinbar ist, als auch vor arbeitskampfbedingten Einstellungen und Versetzungen der Betriebsrat uneingeschränkt vom Arbeitgeber zu beteiligen ist.
Dieses Verfahren wird bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.
Zu den Folgeterminen sollen die ehrenamtlichen Richter Herr Lange und Herr Freihoff hinzugezogen werden.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beteiligte zu 2) verpflichtet ist, den Beteiligten zu 1) bei arbeitskampfbedingten Einstellungen und Versetzungen gemäß § 99 Betriebsverfassungsgesetz zu beteiligen.
Die Beteiligte zu 2) ist ein Unternehmen des Einzelhandels mit etwa 1.400 Beschäftigten. Der Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 2) gewählte Betriebsrat.
Im Betrieb der Beteiligten zu 2) wurde am 17. Juni 1995 gestreikt. An diesem Streik haben etwa 50 % der Beschäftigten teilgenommen. Während und wegen der Streikmaßnahmen wurden verschiedene Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) ohne Beteiligung des Beteiligten zu 1) versetzt und eingestellt.
Der Beteiligte zu 1) ist der Meinung, die Beteiligte zu 2) sei verpflichtet, auch während eines Arbeitskampfes vor Einstellungen und Versetzungen die Zustimmung des Betriebsrates nach § 99 Betriebsverfassungsgesetz einzuholen. Unter Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertritt der Beteiligte zu 1) die Auffassung, die Arbeitskampfparität erfordere nicht, die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen einzuschränken, weil der Arbeitgeber nach § 100 Betriebsverfassungsgesetz arbeitskampfbedingte Einstellungen und Versetzungen auch ohne Zustimmung des Betriebsrates vornehmen könne.
Der Beteiligte zu 1) beantragt,
festzustellen, daß der Beteiligte zu 1) bei künftigen arbeitskampfbedingten Versetzungen und Einstellungen durch die Beteiligte zu 2) gemäß § 99 Betriebsverfassungsgesetz zu beteiligen ist.
Die Beteiligte zu 2) beantragt,
diesen Antrag zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 2) hält den Antrag für unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis fehle und der Begriff der Versetzungsmaßnahme im Antrag nicht hinreichend eingeschränkt sei. Die Beteiligte zu 2) bezieht sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Instanzgerichte. Nach dieser Rechtsprechung habe der Betriebsrat an einer Entscheidung über eine Arbeitskampfmaßnahme und an deren Durchführung kein Mitbestimmungsrecht, da andernfalls der Betriebsrat in der Lage wäre, eine Arbeitskampfmaßnahme selbst zu verhindern oder zu verzögern. Dies wäre ein Eingriff in die Kampfparität und damit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz.
Im übrigen wird wegen des Vortrags und der Rechtsmeinungen der Parteien auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Artikel 100 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz darüber einzuholen, ob § 99 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz auch insoweit mit dem Grundgesetz, insbesondere Artikel 9 Absatz 3, vereinbar ist, als auch vor arbeitskampfbedingten Einstellungen und Versetzungen der Betriebsrat uneingeschränkt vom Arbeitgeber zu beteiligen ist.
1. Ob die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei arbeitskampfbedingten Personalmaßnahmen im Hinblick auf Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz eingeschränkt sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Diese Frage wird allerdings nur unter dem Gesichtspunkt einer verfassungskonformen Auslegung erörtert und entschieden.
a) Das Bundesarbeitsgericht vertrat zunächst die Auffassung, daß der Betriebsrat während eines Streikgeschehens nicht in der Lage sei, bei personellen Arbeitgebermaßnahmen beteiligt zu sein, da mit Rücksicht auf die durch den Arbeitskampf geschaffene Konfrontation zwischen Belegschaft und Arbeitgeber eine Funktionsunfähigkeit des Betriebsrates eintrete, und zwar unabhängig davon, ob der Betriebsrat mit seinen Mitgliedern am Streik beteiligt sei (Urteil vom 26. Oktober 1971 in AP Nr. 44 zu Artikel 9 GG, Arbeitskampf).
Aufgrund verschiedener Verfassungsbeschwerden nach Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Wirkung der Aussperrung von Betriebsratsmitgliedern hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1975 (in AP Nr. 50 zu Artikel 9 GG, Arbeitskampf) darauf hingewiesen, daß die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates während des Arbeitskampfes notwendige Regelungen erleichtern könne.
Im Urteil vom 14. Februar 1978 (in AP Nr. 57 zu Artikel 9 GG, Arbeitskampf) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, daß außerordentliche Kündigungen wegen Teilnahme an rechtswidrigen Arbeitsniederlegungen (Kampfkündigungen) nicht der Zustimmung des Betriebsrates nach § 103 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz bedürfen, der Arbeitgeber jedoch in entsprechender Anwendung des § 103 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz alsbald die Erteilung der Zustim...