Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderzahlung für Gewerkschaftsmitglieder. Abstandsklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln können als legitime Maßnahme der Mitgliederwerbung und -erhaltung zulässig sein.

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.03.2011; Aktenzeichen 4 AZR 366/09)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf Euro 40.000,00.

4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Regelungen eines zwischen ihnen am 30.05.2008 geschlossenen Haustarifvertrages „über eine Erholungsbeihilfe für Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind” (TV ErhBeih). Dieser lautet:

„I. Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind, erhalten pro Kalenderjahr eine Erholungsbeihilfe als Bruttobetrag in Höhe von EUR 260,00. Die Höhe der Erholungsbeihilfe für Teilzeitbeschäftigte ermittelt sich anteilig nach ihrer arbeitsvertraglich festgelegten Normalarbeitszeit im Verhältnis zu der Normalarbeitszeit der Vollbeschäftigten.

II. Die Zahlung der Erholungsbeihilfe erfolgt auf Antrag des Lohn- oder Gehaltsempfängers in unmittelbarem Zusammenhang mit einem mindestens einwöchigen Urlaub. Der Antrag ist spätestens 14 Werktage vor Antritt des Urlaubs zu stellen. Die fällige Pauschalsteuer nebst etwaiger Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag trägt der Hafenarbeiter. Weitere Einzelheiten zur Umsetzung sind betrieblich zu regeln.

III. Der Anspruch auf Gewährung der Erholungsbeihilfe bleibt bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgeltes für Leistungen aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Bestimmungen außer Ansatz. während der Altersteilzeit wird die Erholungsbeihilfe bei Vorliegen der Voraussetzung in voller Höhe gewährt.

IV. Der Anspruch auf Gewährung der Erholungsbeihilfe setzt voraus, dass der Lohn- oder Gehaltsempfänger bei Antragsstellung dem Arbeitgeber glaubhaft seine Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nachgewiesen hat. Weitere Einzelheiten sind betrieblich zu regeln.

V. Gewährt die H. AG die Leistung nach Ziffer I., entsprechende oder über die in Ziffer I festgelegten Ansprüche hinausgehende Beträge oder sonstige Leistungen Lohn- und Gehaltsempfängern, die nicht Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind, so erhöht sich für die Lohn- und Gehaltsempfänger, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind, die Arbeitgeberleistung entsprechend.

VI. Dieser Tarifvertrag tritt am 01.06.2008 in Kraft. Der Vertrag kann mit einer Frist von zwei Monaten, erstmals zum 31.05.2009 gekündigt werden. Für den Fall, dass sich wesentliche, insbesondere steuergesetzliche Regelungen zur Erholungsbeihilfe ändern, verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung vorzeitig in Verhandlungen einzutreten.”

Die tarifschließende Arbeitgeberseite hält – wie der Gewerkschaftsseite mit Schreiben vom 24.06.2008 (Anlage K 2, Bl. 14 d. A.) unter Hinweis auf bereits in den Tarifvertragsverhandlungen geäußerte Bedenken mitgeteilt – die ausschließliche Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern für unwirksam und begehrt mit vorliegender Klage die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit von Ziffern IV und V des Tarifvertrages.

Die Klägerin beschäftigt rund 1.500 Arbeitnehmer im Bereich der Hafen-Logistik. In den von ihr verwendeten Musterarbeitsverträgen werden die örtlich, zeitlich und inhaltlich jeweils für sie geltenden Tarifverträge in Bezug genommen.

Die Klägerin trägt vor:

Die Zulässigkeit ihrer Klage ergebe sich aus § 9 Tarifvertragsgesetz (TVG) i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Das erforderliche Feststellungsinteresse bestehe, weil Streit über die Wirksamkeit der Ziffern IV und V des Tarifvertrages gegeben sei, deren Rechtswirksamkeit sie, die Klägerin, verneine, die Beklagte jedoch bejahe.

Die Regelungen in Ziffern IV und V des streitgegenständlichen Tarifvertrages seien wegen Verletzung der positiven und negativen Koalitionsfreiheit entsprechend der im Folgenden jeweils bestätigten Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 29.11.1967 (GS 1/67, AP 13 zu Artikel 9 GG) gemäß Artikel 9 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) nichtig. Indem Ziffer V als so genannte Spannensicherungsklausel festschreibe, dass der Arbeitgeber bei ausgleichenden Leistungen auch an anders oder nicht organisierte Arbeitnehmer die Stellung der in der tarifschließenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer entsprechend verbessern müsse, und Ziffer IV das Merkmal der Gewerkschaftszugehörigkeit konstitutiv zur Anspruchsvoraussetzung erhebe, würden rechtliche Hindernisse für die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der anders und nicht organisierten Arbeitnehmer normiert. Dies benachteilige diese Arbeitnehmer und begründe einen Eingriff in deren positive bzw. negative Koalitionsfreiheit.

Dadurch, dass e...

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