Entscheidungsstichwort (Thema)

Zielvereinbarung. Mitbestimmung. Einsicht. leistungsbezogenes Entgelt

 

Leitsatz (amtlich)

Der Betriebsrat hat ein Recht, bei Bestehen eines kollektiven Zielvereinbarungssystems Einsicht in die konkret abgeschlossenen Zielvereinbarungen zu nehmen, soweit dies zur Überwachung der Umsetzung dieses Systems erforderlich ist.

 

Normenkette

BetrVG § 80 Abs. 2, § 87 Abs. 1 Ziff. 11, § 87 Abs. 1 Ziff. 10; GewO § 106; BetrVG § 75 Abs. 1

 

Tenor

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, dem Antragsteller Einsicht in alle im Jahr 2008 mit Arbeitnehmern, mit Ausnahme der leitenden Angestellten gem. § 5 Abs. 3 BetrVG, abgeschlossenen Zielvereinbarungen zu gewähren.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Antragstellers auf Einsichtnahme in die im Jahr 2008 mit Arbeitnehmern abgeschlossenen Zielvereinbarungen.

Der Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 2) bestehende Betriebsrat für den Betrieb in A-Stadt. Mit Spruch einer Einigungsstelle „zur Neuregelung der Vergütungsgrundsätze für Außertarifliche Angestellte vom 5.8.2005” kam auf Unternehmensebene entsprechend der Anlage 3 zum Einigungsstellenspruch eine ausführliche Regelung mit dem Gesamtbetriebsrat (GBR) zustande, die Zielvereinbarungen als Grundlage für die Ermittlung der Tantieme innerhalb der variablen Vergütung für außertariflichen Mitarbeiter (AT-Mitarbeiter) vorsieht. Gem. Ziff. 4.2 können sich Zielvereinbarungen auf quantitative und/oder qualitative Ziele beziehen wie Geschäftsziele (Z.B. Umsatz, Ertrag, Marktanteile), Prozessziele und Verhaltensziele. Die Regelung enthält Grundsätze zur Formulierung der Ziele, deren Anzahl für jeden AT-Mitarbeiter zwischen 5 und 7 liegen und ein Verhaltensziel enthalten soll. Für das Jahr 2008 wurden entsprechende Zielvereinbarungen geschlossen.

In einem Rechtsstreit über die Frage der Zuständigkeit des GBR hat das BAG am 18.5.2010 (1 ABR 96/08) entschieden, dass der Eineigungsstellenspruch wegen der Zuständigkeit der Einzelbetriebsräte für die AT-Vergütung unwirksam ist.

Der Antragsteller hat mit Email vom 28.9.2009 die Beteiligte zu 2) aufgefordert, ihm Einsicht in die getroffenen Zielvereinbarungen derjenigen Mitarbeiter zu geben, deren Zielerreichungsgrad über 120 % lag. Die Beteiligte zu 2) lehnt dies ab und vertritt die Ansicht, dass die Mitteilung von Durchschnittswerten der Zielerreichungsgrade der einzelnen Mitarbeiter ausreichend sei. Hieran schloss sich ein weiterer Schriftwechsel an, in dessen Verlauf der Antragsteller Einsichtnahme in die Zielvereinbarungen auch mit dem Argument verlangte, dass die Besorgnis einer ungerechtfertigten Benachteiligung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorliege und er ein Recht habe, die Einhaltung der Betriebsvereinbarung zu überwachen.

Mit seinem Antrag vom 9.6.2010 macht der Antragsteller nunmehr gerichtlich einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Zielvereinbarungen für das Jahr 2008 geltend. Er vertritt die Ansicht, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 11 BetrVG zu, das einen umfassenden Unterrichtungsanspruch begründe. Zudem habe er darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber bei einem kollektiven Entgeltsystem die Grundsätze von Recht und Billigkeit, sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz und das AGG einhalte.

Der Antragsteller beantragt:

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, dem Antragsteller Einsicht in alle im Jahr 2008 mit Arbeitnehmern, mit Ausnahme der leitenden Angestellten gem. § 5 Abs. 3 BetrVG abgeschlossenen Zielvereinbarungen zu gewähren.

Die Beteiligte zu 2) beantragt:

Antragsabweisung.

Die Beteiligte zu 2) bestreitet ein Recht auf Einsichtnahme in die Zielvereinbarungen. Sie vertritt die Ansicht, dass es sich um individuelle Vereinbarungen handelt, die schon aus Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer nicht preisgegeben werden dürfen. Außerdem sei der Einigungsstellenspruch wegen fehlender Zuständigkeit des GBR von Anfang an unwirksam, so dass es auch keine Grundlage für die Überwachung einer nicht vorhandenen, kollektiven Regelung gebe.

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der zulässige Antrag ist begründet. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Einsichtnahme in die für das Jahr 2008 mit Arbeitnehmern der Beteiligten zu 2) abgeschlossenen Zielvereinbarungen, soweit es sich nicht um leitende Angestellte handelt, für die der Betriebsrat gem. § 5 Abs. 3 BetrVG nicht zuständig ist.

Der Anspruch des Betriebsrats ergibt sich bereits aus § 80 Abs. 2 BetrVG i.V.m. dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Ziff. 11 BetrVG hinsichtlich von Zielvereinbarungen, die die Grundlage für die Ermittlung der Tantieme innerhalb der variablen Vergütung für AT-Angestellte darstellen. Der Anspruch des Betriebsrats kann außerdem auf § 80 Abs. 2 BetrVG i.V.m. seinen Aufgaben gem. § 80 I Nr. 1 BetrVG gestützt werden. Hierzu gehört die Überwachung der Einhaltung der Grundsätze für den Abschluss von Zielve...

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