Tenor
1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagten nicht durch die fristlose Kündigung vom 27.1.1996 aufgelöst worden ist sondern fortbesteht.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf DM 5.100,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechtigung der Beklagten zur fristlosen Kündigung.
Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde.
Die Klägerin ist bei der Beklagten, die eine große Lebensmittelfilialkette betreibt, seit dem 18.1.1971 als Verkäuferin und Kassiererin in deren Filiale Penny-Markt am Dresdner Platz in Reutlingen beschäftigt. Sie ist im Jahre 1937 geboren. Am 22.1.1996 bat der Bezirksleiter der Beklagten, Herr Kreipl, die Klägerin gegen 19.00 Uhr beim Verlassen der Filiale ihre Tasche zu öffnen, um den von ihr in der Filiale getätigten Einkauf zu überprüfen. Dabei stellte er fest, daß die Klägerin in ihrer Tasche unter anderem 4 Becher Joghurt „Bio-mild” zum Einzelpreis von je DM 0,69 bei sich führte. Für nur 2 Joghurtbecher konnte die Klägerin einen Kassenzettel und damit eine Bezahlung vorlegen. Auf die Differenz angesprochen, soll die Klägerin geäußert haben: „Es sieht so aus, wie wenn ich klauen würde”. Fest steht jedenfalls, daß die Klägerin zwei Joghurtbecher nicht bezahlt hat.
Die Klägerin bestreitet den Vorgang an sich nicht, hat aber in der mündlichen Verhandlung vom 23.5.1996 behauptet, sie habe versehentlich statt der Taste für 4 Joghurtbecher nur diejenige für 2 gedrückt. Die Beklagte dagegen sieht im Verhalten der Klägerin eine gezielte Unehrlichkeit. Es sei den Verkäuferinnen untersagt, ihren eigenen Einkauf zu kassieren. Die Beklagte sprach nach Anhörung des Betriebsrates, der der fristlosen Kündigung zugestimmt hat, am 27.1.1996 der Klägerin gegenüber die fristlose Kündigung aus. Es ist unstreitig zwischen den Parteien, daß die Klägerin vor diesem Vorfall zu keiner Zeit eine Abmahnung erhalten hat.
Die Klägerin beantragt:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 26.1.1996, zugegangen am 27.01.1996, noch durch die zugleich hilfsweise erklärte Kündigung zum 31.08.1996 aufgelöst worden ist, sondern über diesen Termin hinaus fortbesteht.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits,
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
Auf die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Gemäß § 626 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde nur dann fristlos gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, d. h., wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung des Interesses beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
1. Die Kammer verkennt nicht, daß nach der Rechtssprechung des BAG (vergl. Nachweise bei Kl-Hillebrecht 4. Aufl. § 626 BGB RdNr 333a) bereits die Wegnahme eines Stückes Bienenstichs einen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen kann; ebenso kann die Wegnahme einer Schachtel Zigaretten, die für Kunden ausliegt, bereits unter Umständen ein Grund für eine fristlose Kündigung sein. Die Kammer schließt sich dieser Rechtssprechung nicht an. Jedenfalls ist die fristlose Kündigung im vorliegenden Fall eine völlig überzogene Maßnahme im Verhältnis zu dem Fehlverhalten der Klägerin und im Verhältnis zu 25 beanstandungsfrei verbrachten Jahren der Betriebszugehörigkeit.
2. Der Wert der beiden Joghurtbecher entspricht nicht einmal zwei Briefmarken für einen normalen Brief oder der Samstagsausgabe einer überregionalen Zeitung. Es würde hier im wahrsten Sinne des Wortes mit „Kanonen nach Spatzen geschossen”, wenn bereits ein solcher Vorfall zu einer fristlosen Kündigung ausreichen könnte. Dabei sei insbesondere auch das grobe Mißverhältnis zwischen der strafrechtlichen und der arbeitsrechtlichen Wertung eines solchen Falles hingewiesen.
a) Mit Sicherheit würde jede Staatsanwaltschaft sofort ein entsprechendes Strafverfahren wegen Geringfügigkeit einstellen. Die Rechtsordnung kann aber nicht in strafrechtlicher Hinsicht einen Vorfall wie hier als geringstfügige Bagatelle strafrechtlich im praktischen Ergebnis unbeachtet lassen, andererseits aber, um es in der zutreffenden Alltagssprache auszudrücken, „aus einer Mücke einen Elefanten machen” und nach 25 Dienstjahren, die ohne jede Beanstandung verbracht wurden, sofort mit der denkbar schwersten Sanktion einer fristlosen Kündigung auf das unbestreitbare Fehl verhalten der Klägerin reagieren.
b) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist ein Verfassungsgrundsatz, der auch in diesem Falle eingehalten werden muß. Stellt man aber gegenüber, daß die Klägerin möglicherweise sogar infolge Irrtums der Beklagten einen Minimalschaden zugefügt hätte, wenn sie nicht entdeckt worden wäre, sich andererseits aber in einem Alter be...