2.9.1 Erfüllbarkeit bei Arbeitsunfähigkeit
Rz. 92
Solange ein Arbeitnehmer wegen einer Erkrankung nicht die vertraglich geschuldete Leistung erbringen kann, ist der Urlaubsanspruch nicht erfüllbar. Da der Arbeitnehmer als Folge einer Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, von der Arbeitspflicht befreit ist, kann im gleichen Zeitraum Urlaub nicht gewährt werden. Dabei spielt keine Rolle, ob die Urlaubsgewährung bereits vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist. An diesem Grundsatz hat auch die geänderte Rechtsprechung des BAG zur Übertragbarkeit und dem Erlöschen von Urlaubsansprüchen nichts geändert. Für die Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs enthält § 9 BUrlG eine Sonderregelung. Der Urlaubsanspruch geht nicht unter.
2.9.2 Sonstige Erfüllungshindernisse
Rz. 93
Bei sonstigen Erfüllungshindernissen ist entscheidend, ob die Urlaubsgewährung bereits vor dem Entstehen eines sonstigen Erfüllungshindernisses erfolgt ist.
Hat der Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung seine Pflicht aus dem BUrlG erfüllt, so wird er auch dann von der Leistungspflicht frei, wenn ein Erfüllungshindernis hinzukommt und die Freistellung nachträglich unmöglich wird. Umgekehrt kann der Arbeitgeber dann, wenn der Arbeitnehmer aus sonstigen Gründen von der Arbeitspflicht befreit ist, nicht zusätzlich durch Freistellungserklärung Urlaub gewähren.
Urlaubsstörende Ereignisse fallen nach wirksamer Urlaubsfestlegung entsprechend § 275 BGB in die Risikosphäre des Arbeitnehmers. Die Sonderregelungen der §§ 9, 10 BUrlG können auf andere Ereignisse nicht entsprechend angewendet werden. So kommt es auch dann zum Erlöschen des Urlaubsanspruchs, wenn während eines bewilligten Erholungsurlaubs eine Arbeitnehmerin wegen der Pflege eines erkrankten Kindes nach § 45 SGB V einen Anspruch auf Arbeitsfreistellung erlangt.
Beispiel
Im Februar werden für eine Arbeitnehmerin 4 Wochen Urlaub im Juli festgelegt. Nach festgestellter Schwangerschaft wird ab Juni ein Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG festgestellt.
Während eines tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbots kann der Urlaubsanspruch der Schwangeren unabhängig davon, ob der Urlaub vor oder nach Eintritt des Beschäftigungsverbots eingetreten ist, nicht mehr erfüllt werden; es sei denn, der Arbeitgeber kann eine zumutbare und vom Beschäftigungsverbot nicht erfasste Tätigkeit zuweisen. Gleiches gilt bei tätigkeitsbezogenen individuellen Beschäftigungsverboten nach den §§ 4-6, 9 ff. MuSchG. Der für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs nach § 362 Abs. 1 BGB erforderliche Leistungserfolg tritt daher trotz vorheriger Festlegung des Urlaubs nicht ein.,
Die "Nichtanrechnung" kann sich jedoch aus sonstigen Vorschriften ergeben. So hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 17.9.2022 in § 59 Abs. 1 IfSG geregelt, dass bei einer inländischen Quarantäneanordnung Tage der Quarantäne nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen sind. Eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG, die für die Zeit bis zum 17.9.2022 diskutiert wurde, scheidet nach mehreren aktuellen Entscheidungen des BAG vom 28.5.2024 aus. Es ist unionsrechtlich auch nicht geboten, dass ein Arbeitnehmer, der während seines bezahlten Jahresurlaubs unter Quarantäne gestellt wurde, den Jahresurlaub auf einen anderen Zeitpunkt übertragen kann.
Rz. 94
Führt eine Betriebsvereinbarung aus betrieblichen Gründen Kurzarbeit ein, führt dies zum Verlust des Urlaubsanspruchs, wenn der Urlaub schon vor Abschluss der Betriebsvereinbarung bewilligt war. Der durch die Festlegung des Arbeitgebers konkretisierte Freistellungsanspruch wird nachträglich unmöglich und geht nach § 243 Abs. 2, § 275 Abs. 1 BGB unter. Der Urlaubsanspruch besteht jedoch als Schadensersatzanspruch (§§ 283 Satz 1, 280 Abs. 1, 275 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB) weiter, da bei Kurzarbeit aus betrieblichen Gründen der Arbeitgeber die nachträglich eingetretene Unmöglichkeit zu vertreten hat. Da im Hinblick auf § 96 SGB III die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer für den entsprechenden Zeitraum kein Kurzarbeitergeld bekommt, ist anzuraten, Arbeitnehmern, denen bereits Urlaub bewilligt wurde, aus der Kurzarbeit auszunehmen.