6.1 Grundsatz
Rz. 9
Voraussetzung für die Nichtanrechnung von Krankheitstagen auf den Jahresurlaub ist, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Zeugnis nachweist. Dieses Zeugnis muss jedoch kein amtsärztliches Zeugnis sein.
Im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG kann der Arbeitnehmer den Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auch durch andere Beweismittel als eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erbringen. Diese Möglichkeit gibt es im Rahmen von § 9 BUrlG nicht. Die Vorlage des ärztlichen Zeugnisses ist anspruchsbegründende Voraussetzung, nicht nur Ordnungsmaßnahme. Ohne Attest besteht kein Nachgewährungsanspruch.
Eine behördliche Isolierungsanordnung nach dem IfSG durch die Ordnungsbehörde reicht aufgrund der (Neu-)Regelung des § 59 IfSG für seit 17.9.2022 angeordnete Absonderungstage aus (vgl. Rz. 2 am Ende), nicht jedoch für die Zeit davor, da für eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf eine behördliche Isolierungsanordnung aufgrund der Infektion mit SARS-CoV-2 mangels planwidriger Regelungslücke und vergleichbarer Sachverhalte kein Raum bestand.
Die Notwendigkeit der Vorlage eines ärztlichen Attests besteht nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits vor Antritt des Urlaubs, d. h. nicht erst während des Urlaubs eintritt (s. Rz. 5). Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit richtet sich in einem solchen Fall nach den allgemeinen Regeln, insbesondere nach § 5 EFZG und eventuellen tariflichen Regelungen.
Zum 1.1.2023 wurde für gesetzlich Krankenversicherte die elektronischen AU-Bescheinigung eingeführt, die der Arbeitgeber bei der Krankenkasse abrufen kann (s. Rz. 13). Voraussetzung für die Nichtanrechnung der Krankheitstage auf den Urlaub ist nach § 9 BUrlG (lediglich), dass es sich um "durch ärztliches Zeugnis nachgewiesene Tage der Arbeitsunfähigkeit" handelt. Insoweit erfüllt auch eine elektronische AU-Bescheinigung die Anforderungen des § 9 BUrlG. Für privat krankenversicherte Beschäftigte und auch bei einer Erkrankung gesetzlich Versicherter während des Urlaubs im Ausland hat sich durch die Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung nichts geändert, da nur (inländische) Vertragsärzte der gesetzlichen Krankenkassen an das System der elektronischen AU-Bescheinigung angeschlossen sind, nicht aber ausländische Ärzte. Das heißt:
- Privat Versicherte müssen dem Arbeitgeber im Rahmen des § 9 BUrlG (weiterhin) eine AU-Bescheinigung in Papierform vorlegen.
Gesetzlich Versicherte, die während des Urlaubs im Ausland erkranken, müssen eine AU-Bescheinigung eines ausländischen Arztes in Papierform vorlegen.
Gleiches gilt für gesetzlich Versicherte, die während des Urlaubs im Inland erkranken und die Arbeitsunfähigkeit von einem Privatarzt, d. h. nicht einem Kassenarzt, feststellen lassen.
6.2 Ausländisches Attest
Rz. 10
Einer von einem ausländischen Arzt im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt im Allgemeinen der gleiche Beweiswert zu wie einer von einem deutschen Arzt ausgestellten Bescheinigung.
6.3 Notwendiger Inhalt des ärztlichen Attests
Rz. 11
Die ärztliche Bescheinigung muss einerseits die Dauer und die Lage der Krankheit enthalten; nach Auffassung des BAG muss sie darüber hinaus erkennen lassen, dass der (ausländische) Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden und damit eine den Begriffen des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts entsprechende Beurteilung vorgenommen hat. Im Rahmen von § 9 BUrlG kommt es nämlich nicht allein auf das Vorliegen einer Erkrankung im medizinischen Sinne an, sondern letztlich darauf, dass der Arbeitnehmer seine konkret geschuldete Arbeitsverpflichtung nicht erfüllen kann, was nicht jedem (ausländischen) Arzt bewusst oder bekannt ist.
Beispiel
Nach BAG, Urteil v. 15.12.1987, 8 AZR 647/86
Ein türkischer Arzt hat in Ankara für einen in Deutschland arbeitenden Türken, der den Sommerurlaub in der Türkei verbrachte, folgendes Attest ausgestellt:
"Der … Herr I C geboren am 5.3.1932 … ist am 9.4.1984 bei mir untersucht worden. Es wurde an der linken Hand am Zeigefinger durch K T eine Quetschung und Prellung festgestellt. Nach der benötigten Behandlung wurde der Patient am 7.5.1984 zur weiteren Behandlung in das Krankenhaus der Sozialversicherungsanstalt nach Ankara in die chirurgische Abteilung überwiesen."
Lösung
Nach Auffassung des BAG ließ sich dem Attest nicht entnehmen, welche Folgen die Quetschung und die Prellung am linken Zeigefinger für die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers hatte. Das Attest wurde deshalb nicht als ausreichendes ärztlich...