OFD Frankfurt, Verfügung v. 9.2.2012, S 7170 A - 63 - St 112
1. Allgemeine Grundsätze
Leistungen eines Arztes sind nur dann nach Art. 132 Abs. 1 Buchstabe c MwStSystRL (nationale Befreiungsvorschrift: § 4 Nr. 14 UStG) steuerfrei, wenn sie der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteil vom 14.9.2000, Rs. C-384/98, UR 2000 S. 342 – Abschn. 4.14.1 Abs. 4 UStAE).
§ 4 Nr. 14 UStG, der auf der Grundlage von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL „ärztliche Heilbehandlungen” bzw. „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin” von der Umsatzsteuer befreit, ist im Sinne des o.g. EuGH-Urteils auszulegen.
Dies gilt unabhängig davon, um welche konkrete ärztliche Leistung es sich handelt (Untersuchung, Attest, Gutachten usw.), für wen sie erbracht wird (Patient, Gericht, Sozialversicherung o.a.) und wer sie erbringt (freiberuflicher oder angestellter Arzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Unternehmer, der ähnliche heilberufliche Tätigkeiten nach § 4 Nr. 14 UStG ausübt, sowie Krankenhäuser, Kliniken usw. – Abschn. 4.14.1 Abs. 4 UStAE).
In Fortführung der o.g. Rechtsprechung hat der EuGH mit Urteil vom 20.11.2003, C-212/01 entschieden, dass für eine ärztliche Leistung, die in einem Zusammenhang erbracht wird, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, sondern die Erstattung eines Gutachtens, das Voraussetzung einer Entscheidung ist, die Rechtswirkung erzeugt, die vorgenannte Steuerbefreiungsregel keine Anwendung findet.
Es ist hierbei unerheblich, dass für die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens Anforderungen an die medizinische Kompetenz gestellt werden und dass die Erstellung des Gutachtens für den Arztberuf typische Tätigkeiten wie die körperliche Untersuchung des Patienten oder die Prüfung seiner Krankheitsgeschichte umfassen kann. Eine solche Leistung, die die im Gutachtenauftrag gestellten Fragen beantworten soll, soll vielmehr einem Dritten das Treffen einer Entscheidung ermöglichen, die gegenüber dem Betroffenen oder anderen Personen Rechtswirkungen erzeugt.
Zwar kann ein solches Gutachten mittelbar zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen beitragen, gleichwohl bleibt der Hauptzweck dieser Leistung, eine gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Bedingung für die Entscheidungsfindung eines Anderen zu erfüllen.
Daher ist die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens nur dann nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht.
Neben den in Abschn. 4.14.1 Abs. 5 UStAE aufgeführten Leistungen fallen weitere Leistungen ebenfalls nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG. Eine Auflistung, die alle bisher bekannt gewordene Einzelfälle zur Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG enthält, ist als Anlage beigefügt.
Die Feststellung des Zustands der Organe, Gewebe, Körperflüssigkeiten usw. in Einrichtungen ärztlicher Befunderhebung ist nur dann nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn sie für diagnostische oder therapeutische Zwecke erfolgt. Blutalkoholuntersuchungen für gerichtliche Zwecke in Einrichtungen ärztlicher Befunderhebung sind daher grundsätzlich nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei (Abschn. 4.14.1 Abs. 5 Nr. 6 UStAE).
Die mit dem Betrieb der in § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG bezeichneten Einrichtungen eng verbundenen Umsätze dürfen nach Abschn. 4.14.6 Abs. 1 Satz 2 UStAE nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, den Einrichtungen zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu steuerpflichtigen Umsätzen anderer Unternehmer stehen. Daher sind derartige Leistungen – wie z.B. die Abgabe von ärztlichen Gutachten gegen Entgelt – nicht mehr nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG steuerfrei, wenn eine vergleichbare Leistung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerpflichtig ist.
Auf Abschn. 4.14.1 (insbesondere Abs. 5) und Abschn. 4.14.6 (insbesondere Abs. 3) UStAE wird hingewiesen.
2. Betriebsärztliche Leistungen
Nach dem BFH-Urteil vom 13.7.2006, V R 7/05 (BStBl 2007 II S. 412) ist bei betriebsärztlichen Leistungen zu unterscheiden, ob diese Leistungen darin bestehen, die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten und diese Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG) oder ob es sich um Untersuchungen handelt, die darin bestehen, festzustellen, ob die Arbeitnehmer für eine bestimmte Tätigkeit geeignet sind.
Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG erbrachten Leistungen sind nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, soweit es sich nicht um Einstellungsuntersuchungen handelt. Die übrigen Untersuchungen sind steuerpflichtig.
Im Falle des Zusammentreffens der Leistungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 4 ASiG unterliegen die nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG erbrachten Leistungen stets einer eigenständigen umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung (siehe BMF-Schreiben vom 4.5.2007a.a.O.). Somit sind auch Leistungsbündel, die im Rahmen ei...