Leitsatz
Der Mieter ist verpflichtet, den Vermieter vor Abschluss eines Gewerberaummietvertrags über außergewöhnliche Umstände aufzuklären, mit denen der Vermieter nicht rechnen kann und die offensichtlich für diesen von erheblicher Bedeutung sind.
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
BGB §§ 123 Abs. 1, 241 Abs. 2
Kommentar
Die Entscheidung ist zu einem Mietvertrag über Ladenräume zum Betrieb eines Textilhandels ergangen. Das von dem Künstler Friedensreich Hundertwasser entworfene Geschäftshaus liegt im Zentrum von Magdeburg und gilt wegen seiner Gestaltung als Touristenattraktion. Der Mieter vertreibt in den Ladenräumen nahezu ausschließlich Textilien der Marke "Thor Steinar". Diese Marke wird bevorzugt von Rechtsradikalen gekauft und getragen. Der Vermieter hat die Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt. Der BGH hatte zu entscheiden, ob ein Mieter von Ladenräumen den Vermieter von sich aus über sein Sortiment aufklären muss und ob eine unterlassene Aufklärung zur Anfechtung berechtigt.
Dies wird vom BGH bejaht: Die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass eine Vertragspartei durch arglistige Täuschung zum Vertragsschluss bestimmt worden ist. Ein solcher Fall kann auch dann vorliegen, wenn eine Partei wesentliche, für den Vertragsschluss maßgebliche Umstände verschweigt und sich dies ursächlich auf die Entscheidung des anderen Teils ausgewirkt hat.
Zwar gilt im Allgemeinen der Grundsatz, dass jede Partei ihre Interessen selbst wahrzunehmen hat. Deshalb muss sich der Vermieter die für die Entscheidung über den Vertragsschluss notwendigen Informationen selbst beschaffen, etwa indem er vom Mietinteressenten entsprechende Auskünfte einholt. Ausnahmsweise muss ein Vertragspartner aber solche Umstände von sich aus offenbaren, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Hierzu zählen solche Umstände, die den Vertragsschluss vereiteln oder erheblich gefährden oder die geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.
Im Entscheidungsfall kommt der BGH zum Ergebnis, dass die Vermietung von Ladenräumen zum Vertrieb von Kleidungsstücken an rechtsradikale Kundschaft dem Vermieter und den übrigen Mietern erheblichen Schaden zufügen kann. Zum einen sei die Existenz eines solchen Ladens rufschädigend, was zur Folge habe, dass andere Mieter kündigen und potenzielle Mietinteressenten von einer Anmietung Abstand nehmen. Zum anderen müsse damit gerechnet werden, dass der Geschäftsbetrieb insgesamt durch Demonstrationen gestört werde.
In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Aufklärungspflichtige die Notwendigkeit einer Aufklärung erkennt. Auch dies wird vom BGH bejaht. Der Mieter habe gewusst, dass die Marke "Thor Steinar" vom Publikum der rechtsradikalen Szene zugeordnet werde.
Eine Anfechtung ist auch dann möglich, wenn der Mietvertrag bereits in Vollzug gesetzt wurde. Sie hat zur Folge, dass der Vertrag von Anfang an nichtig ist (§ 142 Abs. 1 BGB).
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil v. 11.8.2010, XII ZR 192/08, NJW 2010 S. 3362