Leitsatz

Auflösungsbeschluss eines Rückstellungsvermögens zu Zwecken einer Verrechnung mit Wohngeldrückständen als nichtiger Beschluss (fehlende Beschlusskompetenz der Eigentümer)

 

Normenkette

§ 21 Abs. 3, 5 Nr.4 WEG

 

Kommentar

Eine Gemeinschaft hatte - unangefochten - die Auflösung eines Rückstellungsvermögens beschlossen mit entsprechender Gutschrift auf den einzelnen laufenden Wohnungseigentümerkonten. Gleichzeitig war mitbeschlossen, dass bei Zahlungsrückständen diese Guthaben mit Rückständen verrechnet würden. Die Auszahlung von Guthabensbeträgen sollte nach diesem Beschluss ebenfalls nicht gefordert werden. In der Versammlung des nächsten Jahres wurde dann eine erneute Bildung einer Rückstellung (etwa in Höhe der früheren Rücklage) beschlossen. Die Beschlüsse wurden nicht angefochten. Die Auflösung und spätere Neubildung der Rücklage habe einem in der Literatur vorgeschlagenen Verfahren dienen sollen, durch das die Gemeinschaft Deckung für Rückstände eines zur Veräußerung gezwungenen Miteigentümers erlangen könne (über spätere Zahlungspflichten eines Erwerbers).

Das OLG Hamm hielt in Bestätigung der Entscheidung des LG Münster die Beschlussfassungen für in sich widersprüchlich. Sei eine Willenserklärung in ihrem einen Teil auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet, werde diese Rechtsfolge jedoch im weiteren Teil der Willenserklärung sogleich wieder aufgehoben, leide die Willenserklärung an innerer Widersprüchlichkeit, die auch durch Auslegung nicht behoben werden könne (vgl. BGH, NJW 1986, 1035), da ein bestimmter Rechtsfolgewille als Voraussetzung der Wirksamkeit jeder rechtsgeschäftlichen Willenserklärung nicht mehr festgestellt werden könne. In der Literatur würden Fälle dieser Art zum Teil unter dem Begriff der "Perplexität" behandelt (vgl. Medicus; Flume). Der vorliegende Beschluss leide deshalb an innerer Widersprüchlichkeit und sei insoweit schon aus sich heraus unwirksam.

Weiterhin verstoße der Beschluss gegen zwingende Vorschriften des WEG und sei deshalb nichtig. Wie der BGH in seinem Beschluss v. 15. 6. 1989 (NJW 89, 3018, 3019) ausgeführt habe (im Gegensatz zur Auffassung des vorlegenden Kammergerichts Berlin), dürfe der Anteil eines mit Wohngeldzahlungen rückständigen Eigentümers an der Instandhaltungsrücklage nicht zur Deckung eines anderweitigen Zahlungsausfalles herangezogen werden. Die Instandhaltungsrücklage sei streng zweckgebunden (vgl. auch Hauger, WE 89, 15, 16). Die Zweckbestimmung lasse nur eine einheitliche Verwendung der gesamten Rücklage oder eines bestimmten Teilbetrages zu. Der Anteil eines Wohnungseigentümers an der Rücklage stelle sich nicht als ein angesparter Vermögenswert dar, der außerhalb dieser Zweckbestimmung verwendet werden könne. Vom BGH wurde allerdings nicht entschieden, ob ein anderweitiger Beschluss insoweit lediglich anfechtbar oder darüber hinaus als nichtig zu behandeln sei. Nach Meinung des Senats sei die Eigentümerversammlung für eine solche Beschlussfassung nach dem Zusammenhang der Vorschriften des WEG absolut unzuständig, sodass ein solcher Mangel zur Nichtigkeit des Beschlusses führe. Der Zugriff auf das Guthaben lediglich eines einzelnen Wohnungseigentümers bedeute nicht nur eine Durchbrechung der Zweckbindung der Rücklage; der Beschluss führe vielmehr darüber hinaus zu einer einseitigen Verfügung über den Miteigentumsanteil eines einzelnen Wohnungseigentümers an Mitteln der Rücklage; dies läge völlig außerhalb gemeinschaftlicher Verwaltung im Sinne des § 21 Abs. 3 WEG.

 

Link zur Entscheidung

( OLG Hamm, Beschluss vom 22.10.1990, 15 W 331/90= NJW-RR 4/1991, 212)

zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer

Anmerkung:

Der Verfasser hat diese Vorgehensweise einmal anlässlich einer Verwalterfachtagung in Fischen (1987) empfohlen, um ggf. schutzbedürftigen, pünktlich Wohngeld zahlenden Eigentümern Möglichkeiten einer Realisierung offener Wohngeldrückstände (durch Rechtsnachfolger) zu verschaffen. Der Umgehungscharakter dieser auch im vorliegenden Fall praktizierten Beschlussfassung ist ohne Zweifel offenkundig. Sind - wie auch hier - die Beschlüsse allerdings unangefochten geblieben, hätten sie auch entgegen vorstehender Entscheidungsbegründung m. E. respektiert werden müssen. Alle Fragen der Bildung einer Rückstellung, der Festlegung der Höhe einer Ansparsumme, möglicher Auseinandersetzungen und auch der Zweckbindung solcher Fonds sind unter Kriterien ordnungsgemäßer Verwaltung im Anfechtungsfall zu würdigen. Jegliche Entscheidungen zur Beschlussfassung kompetenter Eigentümer können mangels entgegenstehender zwingender gesetzlicher Regelungen allerdings nicht zu einer Beschlussnichtigkeit führen. Verfolgt man den mit dem Beschluss beabsichtigten Zweck der insoweit schützenswerten Gemeinschaft, ist auch eine Widersprüchlichkeit im Beschlusstext m. E. nicht erkennbar, zumal selbst - unterstellt - widersprüchliche Beschlussinhalte ebenfalls allenfalls zu einem Anfechtungserfolg führen könnten. Ohne Frage muss ein Rückstellungsvermögen als...

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