Leitsatz
Art. 57 Abs. 1 EG ist dahin auszulegen, dass Art. 56 EG nicht die Anwendung einer am 31.12.1993 bestehenden Regelung durch einen Mitgliedstaat berührt, wonach für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer inländischen Gesellschaft bezieht, ein Steuersatz in Höhe der Hälfte des Durchschnittssteuersatzes, für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, an der er zu zwei Dritteln beteiligt ist, dagegen der normale Einkommensteuersatz gilt.
Normenkette
Art. 56, Art. 57 EG
Sachverhalt
Herr Holböck hat seinen Wohnsitz in Österreich, wo auch der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt. Er ist Geschäftsführer der CBS Conmeth Business Systems GmbH, die ihren Sitz in Österreich hat und mit Kosmetikprodukten handelt.
Alleingesellschafterin dieser GmbH ist die CBS Conmeth Business Systems AG mit Sitz in der Schweiz. Herr Holböck ist an dieser AG mit zwei Dritteln beteiligt.
Aufgrund seiner Beteiligung an der CBS Conmeth Business Systems AG bezog Herr Holböck in den Jahren 1992 bis 1996 Dividenden. Diese unterliegen in Österreich als Einkünfte aus Kapitalvermögen dem vollen ESt-Satz.
Da die Einbringung dieser Abgaben gefährdet erschien, ordnete die zuständige Finanzbehörde in das Vermögen von Herrn Holböck die Sicherstellung von Abgabenansprüchen an ESt der Jahre 1992 bis 1996 i.H.v. insgesamt 118.944.088 ATS an. Der Kläger focht dies an.
Herr Holböck macht geltend, die grenzüberschreitende Dividendenzahlung einer in der Schweiz ansässigen Gesellschaft an einen österreichischen Gesellschafter falle unter Art. 56 EG, der alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs, auch zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten, verbiete. Die Tatsache, dass nach den nationalen Rechtsvorschriften Gewinnausschüttungen von Gesellschaften mit Sitz in Österreich an natürliche Personen nur dem halben Durchschnittssteuersatz unterlägen, während für Auslandsdividenden eine Vollbesteuerung vorgesehen sei, stelle eine Ungleichbehandlung dar, für die es keinen Rechtfertigungsgrund gebe.
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der EuGH in seinem Urteil vom 15.7.2004, Rs. C-315/02 – Lenz –, Slg. 2004, I-7063 nur insoweit zur in Österreich geltenden Besteuerungsregelung für Kapitalerträge Stellung genommen habe, als Kapitalerträge aus Mitgliedstaaten betroffen gewesen seien.
Entscheidung
Der EuGH sieht zwar den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 EG als eröffnet an. Die in Rede stehende Steuerregelung habe jedoch im Wesentlichen bereits am 31.12.1993 bestanden, sodass die sog. Stand-still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG zum Zug komme: Der mögliche Gemeinschaftsrechtsverstoß bleibe deswegen unbeanstandet.
Hinweis
1. Der EuGH bestätigt, was erst soeben in einiger Deutlichkeit in dem Beschluss vom 10.5.2007, Rs. C-492/04 "Lasertec" (BFH-PR 2007, 322, s. dort) zum Ausdruck gekommen ist:
Für die Antwort auf die Frage, ob die EG-Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43 EG oder zusätzlich die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 EG anzuwenden ist, kommt es auf den "Gegenstand" der in Rede stehenden nationalen Norm an. Hat diese vorzugsweise Beherrschungssituationen im Blick, dann greift – nur – die Niederlassungsfreiheit. Wirkt sie allgemein, greift – zusätzlich – die Kapitalverkehrsfreiheit, was sich in concreto immer dann als bedeutsam auswirkt, wenn sog. Drittstaaten, also Nicht-EG-Mitgliedstaaten, im Spiel sind: Die Kapitalverkehrsfreiheit bezieht diese anders als die Niederlassungsfreiheit mit ein.
2. Mit dieser Linie, die nun schon als gefestigt angesehen werden kann, erweist sich, dass der BFH"richtig" entschieden haben dürfte, als er im Urteil vom 9.8.2006, I R 95/05 (BFH-PR 2007, 21) eine "Fernwirkung" der Europarechtswidrigkeit des § 8b Abs. 5 KStG a.F. in die Republik Südafrika bejaht hat, und dass das BMF mit seinem dem widersprechenden Teil-Nichtanwendungserlass vom 21.3.2007 (BStBl I 2007, 302) "falsch" liegen dürfte.
3. Unabhängig davon steht nunmehr fest, "wann" die Voraussetzungen der sog. Stand-still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG erfüllt sind – und damit nationale Steuerrechtsnormen, die an diesem Stichtag bereits existierten, aus europarechtlicher Sicht "resistent" sind. Es ist dies dann der Fall, wenn:
"... (eine) Vorschrift, die im Wesentlichen mit der früheren Regelung übereinstimmt oder nur ein Hindernis, das nach der früheren Regelung der Ausübung der gemeinschaftlichen Rechte und Freiheiten entgegenstand, abmildert oder beseitigt, (...). Beruht dagegen eine Regelung auf einem anderen Grundgedanken als das frühere Recht und führt sie neue Verfahren ein, so kann sie den Rechtsvorschriften, die zu dem im betreffenden Gemeinschaftsrechtsakt genannten Zeitpunkt bestehen, nicht gleichgestellt werden (...)".
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 24.5.2007, Rs. C-157/05 – Holböck –