Leitsatz
Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit für die Praxis wichtigen prozessualen Regeln zur Rechtsmitteleinlegung auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Das FamG hatte den Antragsgegner zur Zahlung von Kindesunterhalt "verurteilt". Gegen das seinem Verfahrensbevollmächtigten am 25.2.2011 zugestellte "Urteil" wandte er sich mit seiner "Berufung", die am 25.3.2011 beim OLG einging und einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens enthielt.
Das OLG hat mit einem am 31.5.2011 zugestellten Beschluss Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Mit Verfügung vom 4.7.2011 hat die Vorsitzende des Beschwerdesenats darauf hingewiesen, dass nunmehr die Wiedereinsetzungsfrist verstrichen sei. Auf diesen - ihm am 7.7.2011 zugestellten - Hinweis hat der Antragsgegner am 21.7.2011 Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, in die Frist zur Einlegung der Berufung sowie in die Frist zur Begründung der Berufung beantragt.
Im Anschluss daran hat das OLG den Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde, die erfolgreich war.
Entscheidung
Der BGH hielt die Rechtsbeschwerde für zulässig und begründet.
Einer Wiedereinsetzung habe es nicht bedurft, da das Rechtsmittel gegen das "Urteil" des FamG form- und fristgerecht eingelegt worden sei. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts scheide eine wirksame Beschwerde nicht deswegen aus, weil der Antragsgegner mit dem Schriftsatz vom 25.3.2011 um Verfahrenskostenhilfe für "ein beabsichtigtes Rechtsmittel" nachgesucht habe. Das Beschwerdegericht hätte den Schriftsatz des Antragsgegners nicht als bloße Ankündigung der Einlegung eines Rechtsmittels auslegen dürfen. Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten Rechtsmitteleinlegung komme dies nur in Betracht, wenn sich aus dem Schriftsatz ausdrücklich ergebe, dass die Rechtsmittelschrift nur als Entwurf zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs beigefügt werde.
Im vorliegenden Fall habe der Antragsgegner keinen ausdrücklichen Vorbehalt der Rechtsmitteleinlegung erklärt. Es sei von einem unbedingten Rechtsmittel auszugehen, da er seinen Schriftsatz als "Berufung" bezeichnet habe. Die falsche Bezeichnung sei ohne Bedeutung, da das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung als "Urteil" bezeichnet habe und für den Antragsgegner somit der Grundsatz der Meistbegünstigung gelte.
Ferner werde im Schriftsatz vom 25.3.2011 "gegen das Urteils des AG ... Berufung eingelegt" und zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung um die notwendigen Hinweise gebeten.
Schließlich erfülle der Schriftsatz vom 25.3.2011 auch die an eine Rechtsmittelbegründung zu stellenden Anforderungen. Das Fehlen von Anträgen sei unschädlich, da der Begründung zu entnehmen sei, in welchem Umfang die erstinstanzliche Entscheidung angegriffen werden solle.
Folglich könne dem Schriftsatz vom 25.3.2011 keine ausdrückliche, zweifelsfreie Erklärung des Inhalts entnommen werden, dass die Einlegung des Rechtsmittels von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig sein solle. Daran ändere auch nichts, dass der Antragsgegner nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen habe, die Berufung sei nur bedingt eingelegt worden. Für die Frage der unbedingten Einlegung von Rechtsmitteln sei allein der objektive Erklärungswert der bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist vorliegenden Schriftsätze entscheidend. Später "klarstellende" Erklärungen der Beteiligten könnten keine Berücksichtigung finden.
Das OLG habe den erforderlichen Wiedereinsetzungsantrag nicht zurückweisen dürfen, sondern hätte diesen als gegenstandslos behandeln müssen, so dass der gesetzwidrige Beschluss des Beschwerdegerichts aufzuheben sei.
Hinweis
Die Entscheidung des BGH ist für jeden Praktiker unbedingt lesenswert und formuliert deutlich bei der Rechtsmitteleinlegung zu beachtende prozessuale Regeln.
Zum einen wird im Rahmen der Rechtsmitteleinlegung der Meistbegünstigungsgrundsatz für den Fall bestätigt, dass das Ausgangsgericht eine falsche Entscheidungsform gewählt hat. Klargestellt hat der BGH auch, dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Rechtsmittel unbedingt eingelegt worden ist und eine andere Auslegung nur dann in Betracht kommt, wenn sich der bedingte Einlegungswille ausdrücklich aus dem Schriftsatz ergibt.
Klargestellt hat der BGH ferner, dass es keiner Wiedereinsetzung bedarf, wenn ein Rechtsmittel wirksam eingelegt worden ist. Anträge auf Wiedereinsetzung sind dann gegenstandslos. Werden sie gleichwohl zurückgewiesen, hebt das Rechtsmittelgericht sie als gegenstandslos auf.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 07.03.2012, XII ZB 421/11