Leitsatz
Bei Personengesellschaften und GmbH sind Regelungen, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen ("Hinauskündigungsklauseln"), grundsätzlich nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, es sei denn, sie sind durch besondere Umstände sachlich gerechtfertigt.
Sachverhalt
Der BGH hatte in zwei Parallelverfahren über die Zulässigkeit von sog. Manager- und Mitarbeitermodellen zu entscheiden. Bei diesen Personalführungskonzepten werden Geschäftsführern oder verdienten Mitarbeitern Minderheitsbeteiligungen am Unternehmen unentgeltlich oder zu einem günstigen, meist an dem Nennwert des Anteils orientierten Preis übertragen. Zugleich wird vereinbart, dass die Anteile unabhängig von etwaigen Wertsteigerungen unentgeltlich bzw. zum für den Erwerb gezahlten Preis zurückübertragen werden müssen, wenn der Geschäftsführer bzw. Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausscheidet. Auf diesem Wege erhalten Manager bzw. Mitarbeiter den Status von "Mitgesellschaftern" bzw. "geschäftsführenden Gesellschaftern", die über die jährlichen Gewinnausschüttungen am von ihnen miterzielten wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens partizipieren.
Im ersten zur Entscheidung anstehenden Fall ging es um ein Handelsunternehmen, das mehrere hundert Filialen in der Rechtsform der GmbH organisiert hat und daran den jeweiligen "Vor-Ort-Geschäftsführer" als Gesellschafter mit einem Anteil von 10 % beteiligt. Nachdem einer dieser Geschäftsführer abberufen und entlassen worden war, entstand Streit über die Frage, ob sein Gesellschaftsanteil entsprechend der Vereinbarung an die Holding-Gesellschaft zurückübertragen werden musste. Im anderen Fall hatte der Gründungs- und Mehrheitsgesellschafter eines mittelständischen Unternehmens verdiente Mitarbeiter durch eine Gesellschaftsbeteiligung ausgezeichnet. Eine Mitarbeiterin war aus dem Betrieb ausgeschieden. Auch hier kam es wegen der vorgesehenen Rückübertragung zu einem Prozess.
Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind bei Personengesellschaften und bei GmbH gesellschaftsvertragliche Regelungen, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen ("Hinauskündigungsklauseln"), grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. Eine an keine Voraussetzungen geknüpfte Hinauskündigungsklausel oder eine vergleichbare schuldrechtliche Regelung ist wirksam, wenn sie wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist.
Die gesellschaftsrechtliche Beteiligung des jeweiligen Geschäftsführers hat nach dem Unternehmenskonzept der Beklagten die Funktion, den Geschäftsführer stärker an das Unternehmen zu binden, seine Motivation zu steigern und seine Stellung als "geschäftsführender Gesellschafter" innerhalb des Betriebs und nach außen aufzuwerten. Dabei steht die Teilhabe am Gewinn der Gesellschaft, der jeweils vollständig ausgeschüttet wird, wirtschaftlich im Vordergrund. Damit wird dem Geschäftsführer eine – von seinem Geschick bei der Unternehmensführung mitabhängige und diesen Erfolg widerspiegelnde – Einnahmequelle neben seinem Gehalt eingeräumt. Dagegen sind die Möglichkeiten des Geschäftsführers, in der Gesellschafterversammlung seine Vorstellungen gegen den Willen der Beklagten durchzusetzen, praktisch ausgeschlossen. Alle gesetzlichen und satzungsmäßigen Mehrheiten stehen der "Muttergesellschaft" zu. Dafür ist das finanzielle Risiko des Geschäftsführers gering. Mit der Beendigung der Geschäftsführerstellung verliert die weitere Beteiligung ihren dargestellten Sinn. Nur durch die Rückübertragung wird der Holding als Mehrheitsgesellschafterin zudem die Möglichkeit eröffnet, den Nachfolge-Geschäftsführer ebenfalls zu beteiligen und damit das Geschäftsmodell auf Dauer fortzuführen. Im Vordergrund der Regelung steht vielmehr die in § 38 Abs. 1 GmbHG vorgesehene Möglichkeit, den Geschäftsführer ohne Grund aus seiner Organstellung abzuberufen. In dem Managermodell ist lediglich ein Annex zu der Geschäftsführerstellung zu sehen. In diesem Fall ist eine "Hinauskündigungsklausel" zu akzeptieren. Dieselben Grundsätze gelten auch für "Mitarbeitermodelle", wie der BGH in der zweiten Entscheidung hervorhebt.
Link zur Entscheidung
BGH-Urteil vom 19.9.2005, II ZR 173/04