Das Wichtigste in Kürze:

1. Ob aus einer rechtswidrigen Beweisgewinnung die Unverwertbarkeit des Beweismittels folgt, hängt nach der Rechtsprechung von einer Abwägung – insbesondere des Gewichts des Verstoßes gegen Beweiserhebungsvorschriften einerseits und des Gewichts des staatlichen Verfolgungsinteresses anderseits – ab. Im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren kommt dem Gewicht des staatlichen Verfolgungsinteresses regelmäßig eine deutlich geringere Bedeutung zu als etwa im Rahmen der Verfolgung von Straftaten, was im Rahmen der Abwägung jeweils für ein BVV spricht.
2. Die Frage von BVV im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren kann sich etwa stellen im Zusammenhang mit Belehrungsverstößen, etwa einer unterlassenen Belehrung über die Freiwilligkeit der Mitwirkung an einem Atemalkoholtest, unzulässiger Delegation der Verkehrsüberwachung an Private und auch bei rechtswidrig von Privaten erlangten Daten – etwa mittels sog. Dashcams.
 

Rdn 593

 

Literaturhinweise:

Brüssow, Beweisverwertungsverbot in Verkehrsstrafverfahren, StraFo 1998, 294

Gübner, Die Tilgungshemmung im Bußgeldverfahren für Voreintragungen im Verkehrszentralregister nach § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG n.F., VRR 2005, 212

Burhoff, Die Widerspruchslösung in bußgeldrechtlichen Verfahren, VA 2013, 16

ders., So müssen Sie auf die "Widerspruchslösung" in bußgeldrechtlichen Verfahren reagieren, VA 2013, 35

Cierniak, Strafprozessuale Beweisverbote in Verkehrssachen, Homburger Tage 2010, S. 95

Cierniak/Herb, Pflicht zur Belehrung über die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Atemalkoholmessung?, NZV 20012, 409

Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, 1977

ders., Blutentnahme ohne richterliche Anordnung – ein Zwischenfazit, DAR 2009, 257

Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017

Heghmanns, Beweisverwertungsverbote, ZIS 2016, 404

Hecker, Verwertungsverbot infolge unterlassener Betroffenenbelehrung?, NJW 1997, 1833

Joachim/Radtke, Kommunale Geschwindigkeitsüberwachung und die Beweisverwertung im Ordnungswidrigkeitenverfahren, NZV 1993, 94

Müller-Heidelberg u.a., Strikte Beweisverwertungsverbote – Ein Gebot des Rechtsstaats, KriPoZ 2018, 259

Niehaus, Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, NZV 2016, 551

ders., Geschwindigkeitsüberwachung durch Videoaufzeichnung, DAR 2009, 632 ff.

ders., Anm. zu BVerfG, Beschl. v. 28.6.2014 – 1 BvR 1837/12, DAR 2015, 384 f.

ders., Anm. zu BVerfG, DAR 2016, 641

ders., Erhebung von Mautdaten durch Strafverfolgungsbehörden?, NZV 2004, 502 ff.

Nobis, Beweisverwertungsverbot bei Weitergabe eines Lichtbildes durch die Meldebehörde, DAR 2002, 299

Schäpe, Grenzen der Fahrerermittlung durch die Behörde, DAR 1999, 186

Sost-Scheible, Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote in Verkehrssachen, in: Homburger Tage 2014, S. 69

Steegmann, Verkehrsüberwachung durch Private, NJW 1997, 2157

Steffens, Verwertungsverbot im Bußgeldverfahren bei Übermittlung von Meldedaten einschließlich des Lichtbildes, StraFo 2002, 222

s. auch die Hinw. bei → Beweisverwertungsverbote, Allgemeines, Rdn 543.

 

Rdn 594

1.a)aa) Nach der Rechtsprechung folgt nicht aus jedem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften bei der Beweisgewinnung (Verstoß gegen ein "Beweiserhebungsverbot") auch ein Verwertungsverbot. Dies soll vielmehr von einer Abwägung im Einzelfall abhängen, in deren Rahmen einerseits insbesondere das Gewicht des Verfahrensverstoßes zu berücksichtigen sei, andererseits die Schwere des Tatvorwurfs und die Möglichkeit der Beweisgewinnung auf (hypothetisch) rechtmäßigem Weg (u.a. BGHSt 44, 243, 249; 56, 127, 132; BGH NStZ 2016, 551; auch BVerfG NJW 2010, 287; NJW 2011, 24167, 2419). Darüber hinausgehend soll die Annahme eines Beweisverwertungsverboten infolge rechtswidriger Beweisgewinnung nicht nur von einer höchst unbestimmten Abwägung abhängen, sondern es soll sich um eine (begründungsbedürftige) Ausnahme handeln (BGHSt 44, 243, 249; 56, 127, 132; auch BVerfG NJW 2010, 287; NJW 2011, 24167, 2419; OLG Düsseldorf NZV 2010, 306; → Beweisverwertungsverbote, Allgemeines, Rdn 544; Burhoff, EV, Rn 1289 ff.). Noch weitergehend spricht das OLG Hamburg (Beschl. v. 27.6.2017 – 1 Rev 12/17) davon, dass der "Strafprozessordnung Beweisverwertungsverbote grundsätzlich fremd" seien.

 

Rdn 595

bb) Diese Rechtsprechung vermag schon in ihrem Ausgangspunkt nicht zu überzeugen (vgl. grundlegend Dencker, a.a.O., S. 147; ders. DAR 2009, 257, 259, Wohlers StV 2008, 434, 442; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, 16. Aufl. 2022, Rn 458; Fezer, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 1995, S. 220; Niehaus DAR 2009, 632, 635; ders. DAR 2015, 384 f.; Müller/Heidelberg u.a., KriPoZ 2018, 259). Denn der Gesetzgeber hat durch die Normierung gesetzlicher Voraussetzungen für die Erhebung bestimmter Beweise bereits die ihm obliegende Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteressen und den Interessen der Betroffenen, namentlich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, getroffen (und sich trotz bestehenden Verfolgungsinteresses entschieden, bestimmte Maßnahmen nicht zuzulassen, wenn die...

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