Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Berufung des Angeklagten darf – unabhängig vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen – nur verworfen werden, wenn der Angeklagte bei Beginn eines Berufungs-HV-Termins ausgeblieben ist. |
2. |
Die Formulierung "bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins" erfasst auch das Nichterscheinen in einem Fortsetzungstermin. |
3. |
Das Gericht kann die Berufung des Angeklagten nicht unmittelbar nach Beginn des Berufungs-HV-Termins verwerfen, sondern muss damit eine angemessene Zeit warten. |
4. |
Ausgeblieben/nicht erschienen ist der Angeklagte nicht nur, wenn er überhaupt nicht erschienen ist, sondern auch, wenn er zwar erschienen, jedoch wegen Verhandlungsunfähigkeit geistig abwesend ist. |
5. |
In § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – 3 sind ausdrücklich die Fälle geregelt, in denen der Angeklagte zwar zu Beginn des Berufungs-HV-Termins erschienen ist, danach aber ggf. die Voraussetzungen des "Ausbleibens" angenommen werden könnten. |
6. |
Erscheint der Angeklagte nach der Urteilsverkündung, ist die HV beendet (§ 268 Abs. 3). Gibt der Angeklagte nun (noch) ausreichende Entschuldigungsgründe an, kann die HV nur nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erneut aufgenommen werden. |
Rdn 821
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Berufung, Allgemeines, Teil B Rdn 666, und bei → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil B Rdn 813.
Rdn 822
1. Die Berufung des Angeklagten darf – unabhängig vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen – nur verworfen werden, wenn der Angeklagte bei Beginn eines Berufungs-HV-Termins ausgeblieben ist (zum Ausbleiben des Angeklagten, wenn der Angeklagte erschienen ist, während einer Pandemie aber "nur" keine FFP2-Maske trägt, LG Leipzig, Urt. v. 27.9.2022 – 9 Ns 703 Js 14010/22; zu weiteren Voraussetzungen → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, genügende Entschuldigung, Teil B Rdn 837; → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, ordnungsgemäße Ladung, Teil B Rdn 851; → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Vertretung des Angeklagten, Teil B Rdn 863). Beginn des HV-Termins ist nach §§ 324, 243 Abs. 1 S. 2 – auch bei einem sog. Fortsetzungstermin – der Aufruf der Sache (OLG Dresden, Beschl. v. 30.7.2021 – 3 OLG 22 Ss 246/21, NJ 2021, 416; OLG Hamburg, Beschl. v. 25.1.2018 – 2 Rev 96/17, NStZ 2018, 559; → Gang der Hauptverhandlung, Aufruf der Sache, Teil G Rdn 2013; zum HB bei Ausbleiben des Angeklagten s. BVerfG NJW 2001, 1341; → Berufung, Berufungshauptverhandlung, Teil B Rdn 748; zum Sich-Entfernen des zunächst erschienenen Angeklagten Teil B Rdn 827 ff.).
☆ Die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 ist nicht zulässig, wenn der Angeklagte vom Erscheinen in der HV entbunden war oder ggf. auf Antrag des Verteidigers in der HV noch entbunden wird (OLG Braunschweig StV 2018, 152; → Entbindung des Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung , Teil E Rdn 1773 ). Die Berufung kann auch nicht verworfen werden, wenn die HV unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, weil also z.B. ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt und die HV wegen krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers nicht durchgeführt werden kann (OLG Köln StV 2016, 804 unter Hinweis auf den Normzweck des § 329).Entbindung des Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1773). Die Berufung kann auch nicht verworfen werden, wenn die HV unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, weil also z.B. ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt und die HV wegen krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers nicht durchgeführt werden kann (OLG Köln StV 2016, 804 unter Hinweis auf den Normzweck des § 329).
Rdn 823
2. In § 329 Abs. 1 S. 1 heißt es "bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins". Das bedeutet, dass es sich anders als nach altem Recht nicht um die erste Berufungsverhandlung in der anhängigen Sache handeln muss und somit z.B. auch das Nichterscheinen in einem Fortsetzungstermin erfasst wird (OLG Dresden, Beschl. v. 30.7.2021 – 3 OLG 22 Ss 246/21, NJ 2021, 416; [grds.a.] OLG Hamburg, Beschl. v. 25.1.2018 – 2 Rev 96717, NStZ 2018, 559; OLG Hamm, Beschl. v. 3.5.2022 – 5 RVs 38/22; OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.4.2018 – 2 OLG 2 Ss 240/17, StRR 8/2018, 3 [Ls.]; BT-Drucks. 18/3562, S. 68; Deutscher StRR 2015, 284; Spitzer StV 2016, 48, 49). Die insoweit vorliegende Rspr. zu § 329 Abs. 1 a.F. (OLG Brandenburg zfs 2010, 347; OLG Hamm, Beschl. v. 26.6.2008 – 5 Ss 266/08; OLG Schleswig SchlHA 2010, 230 [Dö/Dr; für das Strafbefehlsverfahren]) ist nicht mehr anwendbar. Denn sie beruhte auf der alten Fassung des § 329 Abs. 1, in der es hieß "bei Beginn der Hauptverhandlung".
Rdn 824
3. Hinweis für den Verteidiger!
Das Gericht kann die Berufung des Angeklagten nicht unmittelbar nach Beginn des Berufungs-HV-Termins (dazu Teil B Rdn 822) verwerfen, sondern muss damit eine angemessene Zeit warten, ggf. sogar deutlich über die "normale" Wartezeit hinaus, wenn das verspätete Kommen angekündigt worden ist (BayObLG, Beschl....