Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Voraussetzung für ein Verwerfungsurteil ist, dass der Angeklagte ordnungsgemäß in der durch die §§ 216, 323 Abs. 1 S. 1 vorgeschriebenen Form geladen worden ist. |
2. |
Der Angeklagte kann auch durch öffentliche Zustellung geladen werden (§ 40 Abs. 3). Ist die Ladungsfrist nicht eingehalten, hindert das die Verwerfung der Berufung nicht. Umstritten ist, ob der Ladung eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten, eine Übersetzung beizufügen ist. |
Rdn 852
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Berufung, Allgemeines, Teil B Rdn 657, und bei → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil B Rdn 813.
Rdn 853
1. Voraussetzung für ein Verwerfungsurteil ist, dass der Angeklagte ordnungsgemäß in der durch die §§ 216, 323 Abs. 1 S. 1 vorgeschriebenen Form geladen worden ist (→ Ladung des Angeklagten, Teil L Rdn 2260; → Zustellungsfragen, Teil Z Rdn 4402; → Zwangsmittel bei Ausbleiben des Angeklagten, Teil Z Rdn 4446; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 9 m.w.N.; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334). Die Ladung muss insbesondere den Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens enthalten (dazu § 323 Abs. 1 S. 2; u.a. OLG Hamburg, Beschl. v. 6.5.2020 – 2 Rev 20/20, StV 2021, 162 [Ls.]; OLG Hamm, Beschl. v. 18.4.2023 – 3 RVs 14/23 [neuer Termin nach Aussetzung]; OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.4.2018 – 2 OLG 2 Ss 240/17, StRR 8/2018, 3 [Ls.; Fortsetzungstermin]; OLG Oldenburg StV 2018, 151 [Fortsetzungstermin]; StraFo 2009, 114; OLG Schleswig SchlHA 2005, 262 [Dö/Dr]), und zwar auch im Fall der Terminsverlegung (zu allem Meyer-Goßner/Schmitt, § 323 Rn 3 m.w.N.), ob auch für einen Fortsetzungstermin ist offen (bej. OLG Oldenburg, a.a.O.; offen gelassen OLG Nürnberg, a.a.O.). Das gilt auch für die Ladung zu einer neuen Berufungs-HV, nachdem ein die Berufung des Angeklagten wegen Nichterscheinens verwerfendes Urteil durch das Revisionsgericht aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden ist (OLG Oldenburg StraFo 2009, 336). OLG Nürnberg, a.a.O.). Soll ggf. später die Berufung nach § 329 Abs. 4 wegen Nichterscheinens des Angeklagten trotz Anwesenheit seines Verteidigers verworfen werden, darf das nur erfolgen, wenn der Angeklagte in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass seine Anwesenheit vom Gericht für erforderlich gehalten wird (BayObLG, Beschl. v. 29.3.2022 – 207 StRR 83/22; KG, Beschl. v. 12.12.2018 – (6) 161 Ss 161/18, StV 2020, 157; OLG Brandenburg, Beschl. v. 4.4.2019 – (1) 53 Ss 14/19 (17/19), StV 2020, 158; Beschl. v. 26.7.2019 (1) 53 Ss 83/19 (50/19), StraFo 2020, 28).
Rdn 854
2. Der Angeklagte kann auch durch öffentliche Zustellung (§ 40 Abs. 3) geladen werden. Ist der Angeklagte durch öffentliche Zustellung geladen worden, ist die Ladung nicht wirksam, wenn noch vor Beginn der HV eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten bekannt wird und unter der Adresse die Ladung ordnungsgemäß zugestellt werden kann (OLG Hamm NStZ-RR 2005, 114; OLG Oldenburg StraFo 2004, 274). Auch muss nach der letzten (un)wirksamen Zustellung zunächst ein weiterer Zustellungsversuch seitens des Gerichts erfolgt sein (OLG Hamburg, Beschl. v. 28.8.2019 – 5 Ws 26–27/19, StV 2019, 826 [Ls.]; OLG Hamm StraFo 2006, 280; zur Nachforschungspflicht des Gerichts KG StraFo 2006, 105 [für Widerrufsverfahren]). Auch darf die Ladung des Angeklagten im Weg der öffentlichen Zustellung nicht verfrüht von der Gerichtstafel entfernt werden (OLG Bremen StV 2018, 77). Ob die fehlende Belehrung nach § 35a S. 2 die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung berührt, ist umstritten, sie wird jedoch i.d.R. zu einer → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Teil W Rdn 4141, führen (OLG Hamm NStZ 2014, 421 m. Anm. Kotz StV 2014, 227; s.a. OLG Hamburg, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 Rev 31/22, StV 2023, 445 [Ls.; zur ggf. fehlenden Belehrung nach § 35a]). Die Anordnung der öffentlichen Zustellung erfordert einen Gerichtsbeschluss, der – jedenfalls kurz – zu begründen ist. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht und hat die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.2.2021 – III-2 RVs 5/21).
Rdn 855
3. Ist die Ladungsfrist nicht eingehalten, hindert das die Verwerfung der Berufung nicht (BGHSt 24, 143, 154; OLG Brandenburg NStZ-RR 2009, 318). Allerdings trifft den Angeklagten i.d.R. kein Verschulden, wenn die Nichteinhaltung der Ladungsfrist ursächlich für die Versäumung der HV gewesen ist (OLG Brandenburg, a.a.O.). Um einen Ladungsmangel handelt es sich z.B., wenn die Terminsladung eine widersprüchliche Zeitangabe enthält (OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 75) oder die Sache, die verhandelt werden soll, nicht angegeben ist (OLG Hamburg NStZ-RR 1998, 183 [für Bußgeldverfahren]). Die Wirksamkeit der Ladung wird von Amts wegen geprüft und ist positiv nachzuweisen; dabei kommt der Postzustellungsurkunde (nur) ein Indizwert zu (OLG Karlsruhe NJW 1997, 3183). Die Zustellung der Ladung an den Verteidiger ist nicht wirksam, wenn er nicht ausdrücklich zur Empfangnahme von Ladungen ermächtigt ist (OLG Dresden St...