Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Ist gegen den Angeklagten ein Verwerfungsurteil ergangen, sollte stets sowohl der nach § 329 Abs. 7 zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt als auch Revision eingelegt werden. |
2. |
Der Verteidiger muss bei der Begründung seiner Rechtsbehelfe den unterschiedlichen Prüfungsumfang für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einerseits und für die Revision andererseits berücksichtigen. |
3. |
Nach überwiegender Meinung ist in der Revision die Verfahrensrüge zu erheben. |
Rdn 857
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Berufung, Allgemeines, Teil B Rdn 657, und bei → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil B Rdn 813.
Rdn 858
1.a) Ist gegen den Angeklagten ein Verwerfungsurteil ergangen, sollte stets sowohl der nach § 329 Abs. 7 zulässige Antrag auf → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Teil W Rdn 4141, gestellt als auch Revision eingelegt werden (zu den Rechtsmitteln a. Burhoff/Kotz/Niehaus, RM, Teil A Rn 71 ff.). Es gilt § 342 Abs. 2 (zur Entscheidungszuständigkeit OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2006, 215); die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist vorrangig (OLG Bamberg zfs 2016, 350 für die Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG). Die Einlegung der Revision ohne Verbindung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt als Verzicht auf das Wiedereinsetzungsverfahren (§ 342 Abs. 3), was nicht von einer vorherigen RMB abhängig ist (OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 21). Für die Rechtzeitigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages des Angeklagten ist das Datum der (letzten) Zustellung des die Berufung verwerfenden Urteils entscheidend; ob der Angeklagte schon früher Kenntnis von der Berufungsverwerfung hatte, ist unerheblich (OLG Oldenburg StraFo 2011, 280).
Rdn 859
b) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das LG, und zwar auch, wenn die Antragsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag versäumt sein sollte. Das OLG kann die Entscheidung nicht an sich ziehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.4.2018 – 2 Ws 151/18; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2006, 215; Meyer-Goßner/Schmitt, § 46 Rn 2 m.w.N.). Wiedereinsetzung kommt dann nicht in Betracht, wenn der Angeklagte gar nicht zum Termin erscheinen wollte (BGH NStZ 2001, 160; NStZ-RR 2013, 381; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.4.2021 – 2 Ws 73/21, NStZ-RR 2021, 184).
Rdn 860
2. Hinweis für den Verteidiger!
Der Verteidiger muss bei der Begründung seiner Rechtsbehelfe den unterschiedlichen Prüfungsumfang für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einerseits und für die Revision andererseits berücksichtigen.
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Mit der Revision kann nur die Verletzung des § 329 geltend gemacht werden, also z.B., dass das Gericht nicht alle erkennbaren Entschuldigungsgründe zugrunde gelegt oder dass es den Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" verkannt hat (wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 48 m.w.N.; OLG Hamm StV 1997, 346; LG Potsdam VRS 130, 122). |
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Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag richtet sich der Verteidiger gegen die "Versäumung der Berufungs-HV" oder der "Versäumung des Berufungs-HV-Termins". Nur hier kann er daher nachträglich neue (!) Entschuldigungsgründe geltend machen (KG NStZ-RR 2006, 183 m.w.N.; Beschl. v. 14.2.2019 – 4 Ws 12/19, StV 2020, 855 m. Anm. Deutscher StRR 7/2019, 11; Beschl. v. 6.7.2020 – 3 Ws 160/20, zfs 2020, 588; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.3.2023 – 1 ORs 5/23; OLG Frankfurt am Main NJW 1974, 1151; OLG Hamm wistra 2008, 40; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 Ws 51/23; zum Umfang der erforderlichen Darlegungen s.a. die o.a. NStZ-RR-Nachw.). Er kann zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs also nicht Gründe, die dem Berufungsgericht bereits bekannt waren, wiederholen (KG, a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 368 f.; OLG München NStZ 1988, 377); LG Dresden StRR 2015, 443 [Ls.]; LG Potsdam VRS 130, 122 (für Bußgeldverfahren]). Etwas anderes gilt, wenn das Berufungsgericht im Verwerfungsurteil lediglich Vermutungen über die Entschuldigungsgründe angestellt hat (KG NStZ-RR 2006, 183) oder das Vorbingen des Angeklagten nicht gewürdigt hat (OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.3.2023 – 1 ORs 5/23). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn mit dem Wiedereinsetzungsantrag weitere Tatsachen vorgetragen werden, die den bisherigen – vom Tatgericht bereits gewürdigten – Entschuldigungsgrund ergänzen, verdeutlichen und glaubhaft machen sollen (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 Ws 51/23; LG Potsdam, a.a.O.). Ein Ladungsmangel rechtfertigt allein nicht die Wiedereinsetzung, er muss auch für das Ausbleiben kausal geworden sein (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.2.2021 – III 2 RVs 5/21). |
☆ Der Verteidiger muss die Wiedereinsetzung ausdrücklich beantragen . Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen scheidet bei der Versäumung der HV aus (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 314).Wiedereinsetzung ausdrücklich beantragen. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen scheidet bei der Versäumung der HV aus (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 314).
Rdn 861
3.a) Nach überwiegender...