Ralph Gübner, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze
1. |
Die Verwaltungsbehörde kann den Bußgeldbescheid zurücknehmen. |
2. |
Die Rücknahme bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Bekanntmachung an den Betroffenen. |
3. |
Mit der wirksamen Rücknahme wird das Verfahren in den Stand vor Erlass des Bußgeldbescheids zurückversetzt. |
4. |
Nach Rücknahme des früheren Bußgeldbescheids kann die Verwaltungsbehörde einen neuen Bußgeldbescheid erlassen. |
Rdn 726
Literaturhinweis:
S. die Hinw. bei → Bußgeldbescheid, Allgemeines, Rdn 631.
Rdn 727
1. Die Verwaltungsbehörde kann den Bußgeldbescheid zurücknehmen; zulässig ist auch eine Teilrücknahme (KG, Beschl. v. 14.6.2021 – 3 Ws (B) 109/21, zfs 2022, 51). Von der Rücknahme zu unterscheiden ist die bloße Berichtigung des Bußgeldbescheids (→ Bußgeldbescheid, Berichtigung, Rdn 638).
☆ Die Frage der Rücknahme kann für den Verteidiger auch gebührenrechtlich von Bedeutung sein. Nimmt nämlich die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid nach Einspruch zurück und erlässt einen neuen Bußgeldbescheid, gegen den dann nicht wieder Einspruch eingelegt wird, entsteht für den Verteidiger eine Gebühr nach Nr. 5115 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG (→ Vergütung des Verteidigers im OWi-Verfahren , Rdn 3758 ).gebührenrechtlich von Bedeutung sein. Nimmt nämlich die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid nach Einspruch zurück und erlässt einen neuen Bußgeldbescheid, gegen den dann nicht wieder Einspruch eingelegt wird, entsteht für den Verteidiger eine Gebühr nach Nr. 5115 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG (→ Vergütung des Verteidigers im OWi-Verfahren, Rdn 3758).
Rdn 728
Das Rücknahmerecht ist allerdings zeitlich begrenzt. Die Rücknahme ist nur möglich, solange die Verwaltungsbehörde noch Verfolgungsbehörde ist. Das ist sie nicht mehr, wenn die Akten nach Einspruch des Betroffenen gem. § 69 an das AG abgegeben worden sind. Die Verwaltungsbehörde kann den Bußgeldbescheid auch nicht mehr zurücknehmen, wenn er durch Ablauf der Einspruchsfrist rechtskräftig geworden ist (KK/Kurz, § 65 Rn 25).
Rdn 729
2. Die Rücknahme bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Bekanntmachung an den Betroffenen. Allein die Verfügung der Rücknahme in den Behördenakten reicht nicht (OLG Düsseldorf NJW 1986, 1505; OLG Frankfurt am Main VRS 49, 438; KK/Kurz, § 65 Rn 25). Die Rücknahmeerklärung muss jedoch nicht zugestellt werden (KK/Kurz, a.a.O.).
Rdn 730
3. Mit der wirksamen Rücknahme wird das Verfahren in den Stand vor Erlass des Bußgeldbescheids zurückversetzt. Die Verwaltungsbehörde kann nun (wieder) (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, § 69 Rn 25 ff.)
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das Verfahren einstellen, und zwar sowohl wegen mangelnden Tatverdachts als auch wegen eines Verfahrenshindernisses, aber auch noch nach § 47 Abs. 2 (→ Einstellung des Verfahrens nach allgemeinen Bestimmungen, Rdn 1006 m.w.N.), |
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das Verfahren an die StA abgeben (→ Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren, Rdn 3651), |
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das Verfahren an eine andere Verwaltungsbehörde abgeben, |
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einen neuen Bußgeldbescheid erlassen (vgl. Rdn 773; zum "zweiten Bußgeldbescheid AG Landstuhl, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 OWi 4211 Js 8465/22, NZV 541 [Ls.] = VRR 10/2022, 23)." |
Rdn 731
4. Nach Rücknahme des früheren Bußgeldbescheids kann die Verwaltungsbehörde einen neuen Bußgeldbescheid erlassen. Strittig ist, ob dies erst zulässig ist, wenn der frühere Bußgeldbescheid wirksam zurückgenommen worden ist (so KK/Kurz, § 65 Rn 25; wohl auch AG Landstuhl, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 OWi 4211 Js 8465/22, NZV 541 [Ls.] = VRR 10/2022, 23). M.E. wird man sich aus Gründen der Vereinfachung zumindest dann der gegenteiligen Ansicht anschließen müssen, wenn Rücknahme und Erlass des neuen Bußgeldbescheids in einer Urkunde erfolgen (so OLG Köln NStZ-RR 1998, 375). Die Verwaltungsbehörde kann nach Rücknahme des Bußgeldbescheids aber auch das Verfahren einstellen (→ Einstellung des Verfahrens nach allgemeinen Bestimmungen, Rdn 1006 ff.). Dann ist ein selbstständiger Kostenbescheid erforderlich (→ Antrag auf gerichtliche Entscheidung [§ 108], Rdn 368; → Kostengrundentscheidung, Rdn 2683).
Rdn 732
Inhaltlich kann der neue Bußgeldbescheid von dem früheren abweichen, und zwar sowohl zugunsten als auch zulasten des Betroffenen. Das Verbot der "reformatio in peius" gilt nicht (OLG Hamm VRS 41, 302; Göhler/Seitz/Bauer, vor § 65 Rn 10 und § 69 Rn 29; KK/Kurz, § 65 Rn 26).
Rdn 733
5. Ggf. ist durch den Erlass des früheren Bußgeldbescheids Verjährungsunterbrechung eingetreten. Diese wird nach allgemeiner Meinung durch die Rücknahme des (früheren) Bußgeldbescheids nicht wieder aufgehoben (OLG Frankfurt am Main NJW 1979, 2161; vgl. a...