Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Im Strafbefehlsverfahren kann sich der Angeklagte nach § 411 Abs. 2 S. 1 auch in der Berufungs-HV durch einen Vertreter vertreten lassen, selbst wenn nach § 236 das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist. |
2. |
Umstr. war in Rspr. und Lit., ob über die Zulässigkeit der Vertretung im Strafbefehlsverfahren hinaus eine Vertretung durch einen verteidigungsbereiten Vertreter/Verteidiger, der in der HV anwesend ist, zulässig ist und ob das ggf. der Verwerfung der Berufung entgegenstand. |
3. |
Das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" v. 17.7.2015 hat § 329 zum 25.7.2015 geändert und an die Rspr. des EGMR angepasst. |
4. |
Voraussetzung für die Beschränkung der Verwerfungskompetenz des Berufungsgerichts ist, dass der Angeklagte zu Beginn des Berufungs-HV-Termins von einem mit schriftlicher/nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten wird. |
5. |
In § 329 Abs. 2 und 4 ist eine Prüfungspflicht für das Berufungsgericht im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungs-HV normiert. |
Rdn 864
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Berufung, Allgemeines, Teil B Rdn 657, und bei → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil B Rdn 813.
Rdn 865
1. Im Strafbefehlsverfahren kann sich der Angeklagte nach § 411 Abs. 2 S. 1 auch in der Berufungs-HV durch einen Vertreter vertreten lassen (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.2.2023 – 1 ORs 2 Ss 45/22, NStZ 2023, 383 m.w.N.). Daran hat sich durch die Neuregelung des § 329 nichts geändert. Die Zulässigkeit der Vertretung gilt selbst dann, wenn nach § 236 das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist (OLG Dresden StV 2005, 492 m.w.N.; OLG Düsseldorf StV 1985, 52; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Das gilt allerdings nur, wenn das Verfahren durch einen StB eingeleitet worden ist, also nicht im Fall des § 408 Abs. 3 S. 2 (Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 14 m.w.N.).
☆ Das gilt nicht in ( sonstigen ) Bagatellsachen (§ 232), wenn der Hinweis an den Angeklagten, dass ohne ihn verhandelt werden könne (§ 231 Abs. 1 S. 1), nicht erfolgt oder sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist.nicht in (sonstigen) Bagatellsachen (§ 232), wenn der Hinweis an den Angeklagten, dass ohne ihn verhandelt werden könne (§ 231 Abs. 1 S. 1), nicht erfolgt oder sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist.
Rdn 866
2.a) Umstr. war in Rspr. und Lit. früher, ob über die Zulässigkeit der Vertretung im Strafbefehlsverfahren hinaus eine Vertretung durch einen verteidigungsbereiten Vertreter/Verteidiger, der in der HV anwesend ist, zulässig ist und ob das ggf. der Verwerfung der Berufung entgegenstand. Diese Fragen sind durch das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" 2015 in § 329 geregelt worden (Teil B Rdn 875 ff.; krit. zur Neuregelung Jansen StV 2020, 59).
Rdn 867
b) Zu den mit der Vertretung und/oder der Verwerfung der Berufung auch in den Fällen, in denen ein vertretungsbereiter Verteidiger in der HV anwesend ist, hatte in den vergangenen Jahren mehrfach der EGMR Stellung genommen (u.a. EGMR NJW 2001, 2387; NStZ 2013, 350 [Neziraj]u.a. m. Anm. Püschel StraFo 2012, 490HRRS 2009 Nr. 981; dazu Gundel NJW 2001, 2380; Meyer-Mews NJW 2002, 1928 in den Anm. zu EGMR, a.a.O. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). A.A. waren in der innerstaatlichen Rspr. die Obergerichte, die eine Umsetzung dieser Rspr. auf innerstaatliches Recht abgelehnt haben (KG, Beschl. v. 7.2.2014 – 161 Ss 5/14; OLG Brandenburg StraFo 2015, 70 m.w.N.; OLG Bremen StV 2014, 211; OLG Celle NStZ 2013, 615; OLG München NStZ 2013, 358 m. Anm. Gerst StRR 2013, 146; a.A. Engel ZJS 2013, 327; Esser StV 2013, 331; Gerst NStZ 2013, 310; ders., StRR 2013, 23 in der Anm. zu EGMR, a.a.O.; Hüls/Reichling StV 2014, 242; Zehetgruber HRR 2013, 379; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 15a; s.a. noch Burhoff StRR 2013, 388 in der Anm. zu OLG Bremen, a.a.O.; zust. Mosbacher NStZ 2013, 312; diff. Ast JZ 2013, 780).
Rdn 868
3.a) Das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" (BT-Drucks. 18/3562) hat dann 2015 § 329 geändert und an die Rspr. des EGMR angepasst.
☆ Danach gilt nunmehr folgendes Regelungsgefüge :Regelungsgefüge:
Nach § 329 Abs. 1 und 2 darf eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten grds. nicht mehr erfolgen, wenn statt des Angeklagten ein entsprechend bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidiger in dem Berufungs-HV-Termin erschienen ist. Anstelle der nicht mehr zulässigen Verwerfung wird in Anwesenheit des Verteidigers ohne den Angeklagten verhandelt werden, soweit nicht dessen Anwesenheit erforderlich ist (Teil B Rdn 882; dazu – teilweise krit. – Frisch NStZ 2015, 69; Kunze ZAP F. 22...