Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Betroffene kann sich gem. § 137 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 46 OWiG einen (Wahl)Verteidiger als Beistand wählen. |
2. |
Grds. kommt auch im Bußgeldverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht. |
3. |
Die Beiordnungsgründe ergeben sich aus § 140 i.V.m. § 46 OWiG. |
4. |
Nach § 60 Abs. 1 OWiG ist für die Bestellung die Verwaltungsbehörde zuständig. |
Rdn 1610
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Allgemeines, Teil B Rdn 1575.
Rdn 1611
1. Der Betroffene kann sich gem. § 137 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 46 OWiG einen (Wahl)Verteidiger als Beistand wählen. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln (→ Verteidiger, Allgemeines, Teil V Rdn 5049, m.w.N.).
☆ Durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung ist 2019 das Recht der Pflichtverteidigung in den §§ 140 ff. umfassend geändert worden (dazu eingehend Hillenbrand ZAP F. 22, S. 983 ff.; ders ., StRR 2/2020, 4 und StRR 3/2020, 4; zur Rechtsprechung zum neuen Recht s. die Rechtsprechungsübersichten bei Burhoff StRR 8/2022, 5 und StraFo 2023, 206). Die Änderungen, die insbesondere das Verfahren betroffen haben, gelten über § 60 OWiG ggf. auch im Bußgeldverfahren."Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" ist 2019 das Recht der Pflichtverteidigung in den §§ 140 ff. umfassend geändert worden (dazu eingehend Hillenbrand ZAP F. 22, S. 983 ff.; ders., StRR 2/2020, 4 und StRR 3/2020, 4; zur Rechtsprechung zum neuen Recht s. die Rechtsprechungsübersichten bei Burhoff StRR 8/2022, 5 und StraFo 2023, 206). Die Änderungen, die insbesondere das Verfahren betroffen haben, gelten über § 60 OWiG ggf. auch im Bußgeldverfahren.
Der Verteidiger muss Rspr. zum früheren Recht immer darauf prüfen, ob sie auch für die Neuregelungen gilt. Als Faustregel wird man aber davon ausgehen können, dass immer dann, wenn nach altem Recht ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist, dies auch nach neuem Recht der Fall sein muss. denn die Neuregelung hat eine Ausweitung des rechtlichen Beistands zum Ziel gehabt.
Rdn 1612
2. Grds. kommt auch im Bußgeldverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht (eingehend Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2888 ff.; s.a. Burhoff VA 2022, 144 u. 166; zum früheren Recht – Fromm NJW 2013, 2006; Krenberger zfs 2013, 69). In straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren wird die Beiordnung eines Pflichtverteidigers allerdings eher (immer noch) die Ausnahme sein (BayObLG, Beschl. v. 21.11.2022 – 201 ObOWi 1363/22, NZV 2023, 281; LG Berlin, Beschl. v. 24.9.2018 – 538 Qs 99/18, VRS 134, 184; aber z.B. LG Mainz NZV 2009, 404; so auch, aber insgesamt – zum alten Recht – zu restriktiv, Krenberger zfs 2013, 69). Nach § 60 Abs. 1 OWiG wird für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde allerdings nur auf die Beiordnung in den Fällen der Generalklausel des § 140 Abs. 2 verwiesen (zur [verneinten] analogen Anwendung im Vollstreckungsverfahren OLG Hamm, Beschl. v. 6.2.2007 – 3 Ss OWi 52/07). Im gerichtlichen Verfahren ist § 140 hingegen grds. unbeschränkt anwendbar (s.a. Teil B Rdn 1614 ff.).
Rdn 1613
3. Die Beiordnungsgründe ergeben sich aus § 140 StPO. Für die Anwendung der Beiordnungsgründe gilt (s.a. → Pflichtverteidiger, Beiordnungsgründe, Teil P Rdn 3564 m.w.N.):
Rdn 1614
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Im gerichtlichen Bußgeldverfahren findet § 140 Abs. 1 Nr. 4 und 5 Anwendung (dazu → Pflichtverteidiger, Beiordnung nach § 140 Abs. 1, Teil P Rdn 3514 ff.; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2895 f.). Der zeitliche Umfang der Inhaftierung u.a. spielt nach der Neuregelung keine Rolle mehr. Dem inhaftierten Betroffenen ist nun grds. ein Pflichtverteidiger zu bestellen (LG Kaiserslautern, Beschl. v. 17.3.2023 – 5 Qs 9/23 [gerichtliches Verfahren]; zum früheren Recht OLG Köln StV 1998, 531 [Ls.]; OLG Saarbrücken NJW 2007, 309; LG Ellwangen StV 2012, 462 [Ls.]). Es ist aber auf § 143 Abs. 2 S. 2 u. 3 zu achten (→ Pflichtverteidiger, Entpflichtung/Verteidigerwechsel, Teil P Rdn 3642 ff.). |
Rdn 1615
Seh-, hör oder sprachbehinderter Betroffener
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Nach § 140 Abs. 1 Nr. 11 handelt es sich um einen Fall der Pflichtverteidigung, wenn ein seh-, hör oder sprachbehinderter Betroffener dies beantragt. Die früher zum alten Recht teilweise vertretene Auffassung, wonach der sehbehinderte Betroffene erst bzw. nur dann einen Verteidiger beigeordnet bekommen soll, wenn er Schriftstücke lesen muss (u.a. Göhler/Bauer, § 60 Rn 28a), ist nach der erfolgten Neuregelung nicht mehr haltbar; Allerdings ist die Beiordnung noch antragsgebunden; der Gesetzgeber meinte, so das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu schützen (BT-Drucks 19/13829, S. 35). In den Fällen, in denen ein seh-, hör oder sprachbehinderter Betroffener einen Antrag stellt, ist also ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Ob darüber hinaus – also ohne Antrag – allein aus dem Umstand, dass der Betroffene taub, stumm und/oder blind ist, ohne weiteres geschlossen werden kann, dass er sich nicht selbst verteidigen kann, ist zum alten Recht (§ 140 Abs. 2 S. 2 a.F.) v... |