Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Rdn 1108
Literaturhinweise:
Bock, Das Beweisantragsrecht des Nebenklägers, HRRS 2011, 119
Kempf, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996, 507
Kudlich, (Nichts) Neues zum Missbrauch des Beweisantragsrechts, HRRS 2005, 10
Niemöller, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996, 501
s.a. die Hinw. bei → Beweisantragsrecht, Allgemeines, Teil B Rdn 1224, und bei → Verteidiger, Verteidigerhandeln und Strafrecht, Teil V Rdn 3896.
Rdn 1109
1.a) Zur Antragstellung berechtigt sind neben dem Angeklagten (s. Teil B Rdn 1111) und dem Verteidiger (s. Teil B Rdn 1113) der StA, der Privatkläger (aber → Privatklageverfahren, Teil P Rdn 2575), nach § 397 Abs. 1 S. 3 der Nebenkläger, der Antragsteller im → Adhäsionsverfahren, Teil A Rdn 362, soweit seine vermögensrechtlichen Ansprüche betroffen sind (BGH NJW 1956, 1767), Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter (§ 67 Abs. 1 JGG), Nebenbetroffene nach den §§ 438 Abs. 3, 430 Abs. 2, sowie Beistände nach § 69 JGG (Alsberg/Güntge, Rn 690 ff.).
Rdn 1110
b) Den Verfahrensbeteiligten steht das Antragsrecht grds. im gleichen Umfang zu. Die Beweisanträge des Nebenbeteiligten dürfen sich allerdings nicht mit der Schuldfrage bezüglich des Angeklagten beschäftigen (BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 5 StR 389/18, NStZ 2019, 232), die des Nebenklägers müssen sich auf Tatsachen beziehen, die einen Bezug zu dem Nebenklagedelikt haben (Alsberg/Güntge, Rn 694). Beim Nebenkläger wird zudem diskutiert, ob bei ihm ggf. eine weniger restriktive Anwendung der gesetzlich vorgesehenen, beschränkten Ablehnungsgründe als beim Angeklagten vertretbar ist (BGH NStZ 2010, 714; a.A. BGH NStZ 2011, 713). Dies wird damit begründet, dass beim Angeklagten das Beweisantragsrecht nicht nur eine Stärkung der aktiven Einflussmöglichkeiten auf den Umfang der Beweisaufnahme vermittelt, sondern auch eine Konkretisierung seines Rechts auf ein faires Verfahren und damit auf eine gewisse "Waffengleichheit" sowie eine Ergänzung der für ihn streitenden Unschuldsvermutung (BGH NStZ 2010, 714). Dem wird in der Lit. entgegengehalten, dass auch das Beweisantragsrecht des Nebenkläger grds. der objektiven Wahrheitsfindung diene; selbst wenn man die aktive Beteiligung des Opfers am Strafverfahren für kritisch erachte, müsse der Wille des Gesetzgebers, dem Verletzten das Recht einzuräumen, Beweisanträge zu stellen, respektiert werden (Bock HRRS 2011, 119).
Rdn 1111
2.a) Das Recht zur Antragstellung des Angeklagten ist Ausfluss seines Rechts auf rechtliches Gehör (u.a. BVerfG NJW 1986, 833; Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn 29 m.w.N.). Der Angeklagte kann einen Beweisantrag auch dann stellen, wenn er geschäftsunfähig ist oder der Antrag im Widerspruch zu seiner bisherigen Einlassung steht (BGH MDR 1977, 461 [H]).
Rdn 1112
b) Hinweis für den Verteidiger
Auch bei offensichtlichem Missbrauch des Antragsrechts darf das Gericht die Annahme des Antrags nicht (generell) ablehnen (BGH JR 1980, 218) und der Antrag nicht ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig zurückgewiesen werden (BGHSt 29, 149). Daran hat sich durch die Möglichkeit der Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 S. 3 (→ Beweisantrag, Fristsetzung, Teil B Rdn 1175) nichts geändert. Wenn der Angeklagte aber sein Recht zur Antragstellung missbraucht, kann ihm nach der Rspr. des BGH jedoch das selbstständige Antragsrecht entzogen werden und das Gericht kann anordnen, dass der Angeklagte in Zukunft Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger stellen darf (BGHSt 38, 111 [für die Ankündigung von 8.500 Beweisanträgen, nachdem bereits zuvor zahlreiche Beweisanträge gestellt waren]; StV 2010, 363; zust. Niemöller StV 1996, 501, 506; krit. Kempf StV 1996, 507 ff.). Allerdings wird das, wenn überhaupt, nur in ganz extremen Ausnahmefällen als letztes Mittel zur Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs in Betracht kommen (BayObLG NStZ 2004, 647). Aus der Begründung eines solchen Entziehungsbeschlusses muss sich dann ergeben, warum nach Ansicht des Tatrichters der Angeklagte sein Beweisantragsrecht bis zu diesem Zeitpunkt rechtsmissbräuchlich eingesetzt hat (BayObLG, a.a.O.; zu dieser Problematik eingehend Kudlich HRRS 2005, 10).
Rdn 1113
3. Der Verteidiger, auch der Pflichtverteidiger, hat ein selbstständiges, vom Willen des Angeklagten unabhängiges Antragsrecht (BGH NStZ 2009, 581; Alsberg/Güntge, Rn 705 ff.). Seine Beweisbehauptungen müssen sich mit der Einlassung des Angeklagten nicht decken (BGHSt 21, 118; BGH NJW 1969, 281; NStZ 2009, 581; KK/Krehl, § 244 Rn 97 m.w.N.; Alsberg/Güntge, Rn 707). Sie können auch im Widerspruch zu einem Geständnis stehen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn 30 m.w.N.). Stellt der Verteidiger im eigenen Namen Beweisanträge, nimmt er damit seine Befugnisse als Verteidiger, nicht aber die Rechte des Angeklagten in Ausübung einer ggf. erteilten Vertretungsvollmacht wahr. Will der Verteidiger in der Hauptverhandlung (auch) als Vertreter des abwesenden Angeklagten/Betroffenen auftreten, muss dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden (KG, Beschl. v. 1.2.2023 – 3 Orbs 21/23).