Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Für den Urkundenbeweis gelten die allgemeinen Regeln. |
2. |
Die in den Strafakten befindlichen Urkunden sind ein präsentes Beweismittel. Für sie gilt aber § 245 Abs. 1. |
3. |
Befindet sich die Urkunde, die verlesen werden soll, in einem Beweismittelordner, den das Gericht nicht benutzen will, oder in den Akten einer anderen Behörde, muss der Verteidiger einen vollständigen Beweisantrag stellen. |
4. |
Eine besondere Regelung gilt für sog. Ausgangsdokumente I.S. des § 32e. |
Rdn 1151
Literaturhinweise:
Weiß, Elektronische Dokumente in der Hauptverhandlung nach neuem Strafverfahrensrecht, wistra 2018, 245
s.a. die Hinw. bei → Beweisantrag Allgemeines, Teil B Rdn 1092, und bei → Urkundenbeweis, Allgemeines, Teil U Rdn 3253.
Rdn 1152
1.a) Wegen des allgemeinen Inhalts eines Beweisantrags auf Erhebung des Urkundenbeweises ist zunächst auf die allgemeinen Ausführungen bei → Beweisantrag, Inhalt, Teil B Rdn 1198, zu verweisen (eingehend a. Junker, Rn 89 ff. und Alsberg/Dallmeyer, Rn 426 ff.).
☆ Auch in einem Beweisantrag auf Einholung eines Urkundenbeweises muss nach der Legaldefinition in § 244 Abs. 3 S. 1 die Konnexität dargelegt werden (→ Beweisantrag, Inhalt , Teil B Rdn 1217 ff.).Konnexität dargelegt werden (→ Beweisantrag, Inhalt, Teil B Rdn 1217 ff.).
Rdn 1153
b) Für einen Urkundenbeweisantrag gelten darüber hinaus folgende Besonderheiten: Es ist zu unterscheiden, ob sich die Urkunde, die nach Ansicht des Verteidigers verlesen werden muss, in den Gerichtsakten befindet, von denen das Gericht Gebrauch machen will (Teil B Rdn 1154), oder ob sie sich z.B. in einem Beweismittelordner, den das Gericht nicht benutzen will, befindet (Teil B Rdn 1156). Ggf. geht es auch um die Verlesung eines sog. Ausgangsdokument (§ 32e) (Teil B Rdn 1159 ff.).
☆ Die nachfolgenden Ausführungen gelten für die Verlesung eines elektronischen Dokuments i.S. des § 249 Abs. 1 entsprechend (s.a. Weiß wistra 2018, 245, 249, zum Begriff 256 f.).elektronischen Dokuments i.S. des § 249 Abs. 1 entsprechend (s.a. Weiß wistra 2018, 245, 249, zum Begriff 256 f.).
Rdn 1154
2.a) Die in den Strafakten befindlichen Urkunden sind ein → präsentes Beweismittel, Teil P Rdn 2547 (a. BGH, Beschl. v. 21.5.2015 – 4 StR 554/14). Sie unterliegen allerdings nicht der Regelung in § 245 Abs. 2, sondern der in § 245 Abs. 1 (KK/Krehl, § 245 Rn 10 ff. m.w.N.). Damit erstreckt sich die Beweiserhebungspflicht des Gerichts auf alle Urkunden, die bei Beginn der HV vorliegen, sofern das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es von ihnen Gebrauch machen will (BGHSt 37, 168, 171 ff.). Dazu reicht aber das bloße Vorhandensein der Urkunde an Gerichtsstelle oder ihre Bezeichnung als Beweismittel in der Anklageschrift allein nicht aus (KK/Krehl, § 244 Rn 13). Ausdrucke von E-Mail-Anhängen stellen präsente Beweismittel im Sinne des § 245 Abs. 2 dar (LR/Becker, § 245 Rn 49; SSW-StPO/Sättele, § 245 Rn 21; Trüg StV 2016, 343 ff.; BGH, Urt. v. 1.7.2021 – 3 StR 518/19, BGHSt 66, 147).
Rdn 1155
b) Will der Verteidiger erreichen, dass eine solche "präsente" Urkunde aus den Akten verlesen wird, muss er keinen Beweisantrag i.e.S. stellen. Er sollte allerdings durch einen Antrag (s. Teil B Rdn 1162) nach außen erkennbar machen, dass die Beweisaufnahme auf die Verwertung einer bestimmten Urkunde aus den Akten ausgedehnt werden soll (Meyer-Goßner/Schmitt, § 245 Rn 5 m.w.N.). In diesem Antrag muss die genaue Fundstelle der Urkunde bezeichnet werden. Die Angabe eines Beweisthemas wurde früher als nicht erforderlich angesehen, wird heute jedoch gefordert (Meyer-Goßner/Schmitt, § 245 Rn 5; a.A. KK/Krehl, § 245 Rn 13 f.; Beck-Michalke, S. 522 m.w.N. [sicherheitshalber]). Der Antrag ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Verteidiger die Urkunde schon vor der HV als Beweismittel zu den Akten gereicht hat (RGSt 41, 4, 13).
☆ Für andere Urkunden, die nicht in dem Sinne herbeigeschafft sind, dass das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es ihnen Beweismittelqualität beimisst, ist ein Beweisantrag zu stellen (KK/ Krehl , a.a.O.).nicht in dem Sinne "herbeigeschafft" sind, dass das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es ihnen Beweismittelqualität beimisst, ist ein Beweisantrag zu stellen (KK/Krehl, a.a.O.).
Rdn 1156
3.a) Befindet sich die Urkunde, die verlesen werden soll, in einem Beweismittelordner, den das Gericht nicht benutzen will, oder in den Akten einer anderen Behörde, muss der Verteidiger einen vollständigen → Beweisantrag, Allgemeines, Teil B Rdn 1098, stellen, der ein Beweisthema enthalten und den Fundort genau bezeichnen muss (BGHSt 37, 168 ff.; Beck-Michalke, S. 522; a.A. wohl KK/Krehl, § 244 Rn 13; dazu Teil B Rdn 1158).
Rdn 1157
Nicht ausreichend zur Bezeichnung des Fundortes ist eine Formulierung wie: "… in den Akten des Ministeriums für …" o.Ä. Bei einem solchen Antrag würde es sich, da die Urkunde erst noch gesucht werden muss, um einen → Beweisermittlungsantrag, Teil B Rdn 1262, handeln. Der Verteidiger braucht die Fundstelle selbstverständlich dann nicht a...