Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Rdn 1423
Literaturhinweise:
Arnoldi, Präsente Beweismittel in der Praxis, NStZ 2018, 305
Rieß, Die Stellung des Verteidigers beim Verzicht auf die Verwendung präsenter Beweismittel, NJW 1997, 881
s.a. die Hinw. bei → Beweisantragsrecht, Allgemeines, Teil B Rdn 1225, und bei → Präsentes Beweismittel, Teil P Rdn 2548.
Rdn 1424
1. Nach § 245 Abs. 1 S. 1 erstreckt sich die Beweiserhebungspflicht des Gerichts auf alle vorgeladenen und erschienenen Zeugen und SV sowie auf die sonstigen herbeigeschafften Beweismittel. Dazu gilt: Erschienen sind Zeugen oder SV, wenn sie als anwesende Beweispersonen erkennbar und als solche verwendbar sind (BGHSt 24, 280, 282). Das gilt nicht (mehr) für Zeugen, die bereits entlassen sind (BGH NStZ 1986, 207 [Pf/M]). Um herbeigeschaffte Beweisgegenstände i.S.d. § 214 (Urkunden und Augenscheinsobjekte) handelt es sich, wenn das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es einen konkreten Beweisgegenstand auch als Beweismittel verwenden will, also z.B. eine bestimmte Urkunde aus einer Urkundensammlung (BGHSt 37, 168; zu allem KK/Krehl, § 245 Rn 9 ff.; Alsberg/Tsambikakis, Rn 1473 ff.; Arnoldi NStZ 2018, 305). Hat sich das Gericht aufgrund der → Aufklärungspflicht des Gerichts, Teil A Rdn 432, dafür, einen von dem Angeklagten/Betroffenen mitgebrachten ("sistierten") Zeugen zu vernehmen, so muss es bei Auftreten erheblicher Verständigungsprobleme einen Dolmetscher hinzuziehen. Bricht es hingegen die Vernehmung aufgrund der Verständigungsprobleme ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers ab, so ist der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 erfüllt (OLG Celle, Beschl. v. 21.9.2021 – 3 Ss (OWi) 220/21, StraFo 2021, 518).
☆ Die Verletzung des § 245 Abs. 1 kann in der Revision mit der Verfahrensrüge gerügt werden (zu deren Begründung u.a. BGH NJW 1996, 1685 m.w.N.; NStZ-RR 1999, 36 [K]). Für die Beruhensfrage gelten keine Besonderheiten. Allerdings sollte der Verteidiger dazu ggf. vortragen (s. die Fallgestaltung bei BGH NJW 1996, 1685).Revision mit der Verfahrensrüge gerügt werden (zu deren Begründung u.a. BGH NJW 1996, 1685 m.w.N.; NStZ-RR 1999, 36 [K]). Für die "Beruhensfrage" gelten keine Besonderheiten. Allerdings sollte der Verteidiger dazu ggf. vortragen (s. die Fallgestaltung bei BGH NJW 1996, 1685).
Rdn 1425
2. Von der danach bestehenden Beweiserhebungspflicht darf nur bei einem Verzicht aller Prozessbeteiligten abgesehen werden (Alsberg/Tsambikakis, Rn 1514 ff.). Den Verzicht erklären muss neben dem Angeklagten und der StA auch der Verteidiger, nicht aber der Nebenkläger (§ 397 Abs. 1; → Nebenklägerrechte in der Hauptverhandlung, Teil N Rdn 2394). Hat der Angeklagte mehrere Verteidiger, müssen alle zustimmen (LR-Becker, § 227 Rn 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 245 Rn 9; s. BGH NStZ 1996, 351 [wesentlicher Teil der HV]). Im Jugendstrafverfahren müssen gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte nicht zustimmen, wohl aber der Beistand nach § 69 JGG (→ Jugendgerichtsverfahren, Besonderheiten der Hauptverhandlung, Teil J Rdn 2208).
Rdn 1426
Wird in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt, kann der den Angeklagten vertretende Verteidiger grds. nach § 234a Hs. 1 die Zustimmungserklärung abgeben (→ Verteidiger, Vertretung des Angeklagten, Teil V Rdn 3905). Wird der Angeklagte gem. § 247 (nur) vorübergehend aus der HV entfernt, ist seine Zustimmung allerdings notwendig (BGH MDR 1983, 282 [H]; KK/Krehl § 245 Rn 18 m.w.N.; → Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1796).
Rdn 1427
3. Der Verteidiger muss den Verzicht auf die Beweiserhebung eindeutig, wenn auch nicht ausdrücklich, erklären (zu allem Alsberg/Tsambikakis, Rn 1518 ff.). Der Verzicht kann in einer schlüssigen Handlung liegen (BGH NJW 1978, 1815 [für Vereidigung]), etwa in dem Einwirken auf einen Zeugen, nichts auszusagen (OLG Hamm VRS 45, 123 [Angeklagte wirkt auf einen Zeugen ein, ein Auskunftsverweigerungsrecht in Anspruch zu nehmen]). Ggf. kann auch in der Nichtwiederholung eines vor der HV gestellten Beweisantrags ein konkludenter Verzicht liegt (OLG Hamm NJW 1999, 1416 [Ls.]; OLG München StV 2011, 401 [Ls.]; zu einem Sonderfall noch BGH NStZ 1999, 419 [kein Verzicht, wenn Vorsitzender bei Beharren auf einem Beweisantrag mit Entpflichtung des Verteidigers droht]; → Beweisantrag zur Vorbereitung der Hauptverhandlung, Teil B Rdn 1250). Bloßes Stillschweigen des Verteidigers ist grds. kein Verzicht (BGH StV 1998, 360; OLG Köln StV 2004, 311 [zugleich auch zur Auslegung des Protokollvermerks "Auf Vernehmung des Zeugen wird verzichtet"]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 245 Rn 11, jew. m.w.N.). Im Schweigen des Verteidigers zu einem vom Angeklagten erklärten Verzicht soll aber die Zustimmung des Verteidigers liegen (KK/Krehl, § 245 Rn 9 m.w.N.; Alsberg/Tsambikakis, Rn 1519 [Scheinproblem]; s.a. BayObLG NJW 1978, 1817 [für den umgekehrten Fall]).
☆ Dem Verteidiger ist daher in diesen Fällen zu raten , nach außen deutlich zu machen , wenn er – anders als sein Mandant – nicht auf die Beweiserhebung verzichten will. Hier empfiehlt es ...