Ralph Gübner, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Beweisantrag muss Beweistatsache und Beweismittel enthalten. |
2. |
Die zu beweisende Tatsache wird im Beweisantrag in die Form einer bestimmten Behauptung gekleidet. |
3. |
Wertungen oder schlagwortartige Verkürzungen sind keine bestimmten Tatsachen. |
4. |
Die Angabe einer Negativtatsache wird von der Rechtsprechung grds. nicht als ausreichende Beweisbehauptung anerkannt. |
5. |
Die Anforderungen an die Konkretisierung der behaupteten Tatsache dürfen nicht überspannt werden. |
6. |
Der Beweisantrag muss die Benennung eines der vier in der StPO zugelassenen Beweismittel enthalten, also SV, Zeugen, Augenschein oder Urkunden. |
Rdn 511
Literaturhinweise:
Burgard/Fresemann, Der Beweisantrag bezüglich einer vom Zeugen bekundeten Negativsache, wistra 2000, 88
Burhoff, Die Änderungen im Beweisantragsrecht in 2019 (§§ 219, 244, 245 StPO), StRR 10/2020, 5
Cierniak/Niehaus, Beweisantrag im Verkehrsstraf- und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, DAR 2018, 181
Herdegen, Bemerkungen zum Beweisantragsrecht, NStZ 1984, 97 und NStZ 1984, 200
ders., Zum Begriff der Beweisbehauptung, StV 1990, 518
ders., Das Beweisantragsrecht, NStZ 1998, 444
ders., Das Beweisantragsrecht – Betrachtungen anhand und zur Rechtsprechung – Teil 2, NStZ 1999, 176
Meyer, Der Beweisantrag im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren (insbesondere Geschwindigkeits-, Abstands-, Rotlichtverstöße), DAR 2011, 744
s. auch die Hinw. bei → Beweisantrag, Allgemeines, Rdn 483 und bei Burhoff, HV, Rn 1158.
Rdn 512
1. Für den Beweisantrag ist zweierlei begriffsnotwendig:
▪ |
eine bestimmte zu beweisende Tatsache (dazu Rdn 513 ff.) sowie |
▪ |
ein bestimmtes Beweismittel (dazu Rdn 522 ff.). |
Rdn 513
2.a)aa) Die zu beweisende Tatsache wird im Beweisantrag in die Form einer bestimmten Behauptung gekleidet und muss sich auf die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage beziehen, indem z.B. formuliert wird, "dass die Ampel auf der Goetheallee bereits seit zwei Sekunden “rot' zeigte, als sie der Zeuge überquerte." Bei (zu) unbestimmten Beweisanträgen kann nicht geprüft werden, inwieweit die zu beweisende Tatsache (welche?) schon bewiesen ist oder als wahr unterstellt werden kann (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 15.5.2012 – 3 StR 66/12; Beschl. v. 2.8.2011 – 3 StR 237/11; Schäfer, Rn 1155). Es handelt sich dann regelmäßig um Beweisermittlungsanträge, die das Gericht nicht zur förmlichen Bescheidung nach § 244 Abs. 6 StPO (wohl aber zur Begründung einer Ablehnung nach § 35 StPO) verpflichten.
Rdn 514
bb) Der Antragsteller muss nicht von der Richtigkeit der Beweisbehauptung überzeugt sein. Er darf auch behaupten, was er lediglich vermutet oder nur für möglich hält (BGHSt 21, 118, 121; BGH NJW 1993, 867; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2008, 322 = NZV 2008, 588; OLG Bamberg, Beschl. v. 4.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17, NZV 2018, 80 = VRR 11/2017, 4 mit Anm. Burhoff; vgl. auch BGH NStZ 2011, 300 = StRR 2011, 100). Häufig wird der Verteidiger nicht in der Lage sein, eine Tatsache sicher zu behaupten. Insoweit wird er daher beantragen, "einen Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass …", auch wenn er sich das Beweisergebnis bloß erhofft. Die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 244 StPO durch das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens" v. 10.12.2019 (BT-Drucks 19/14747, S. 34) führt in Zusammenhang mit der Einführung der Legaldefinition des Beweisantrages aus: "Ferner sollen Beweisbehauptungen “aufs Geratewohl‘ oder “ins Blaue hinein‘, denen es an der gebotenen Ernsthaftigkeit des Verlangens mangelt, von den Gerichten nach § 244 Absatz 3 Satz 1 StPO-E nicht als Beweisanträge behandelt werden müssen." Was damit gemeint ist, ist unklar. Zutreffend ist, dass ein Beweisantrag nach der Rechtsprechung des BGH (s. die o.a. Nachw. und Burhoff, HV, Rn 1056 ff.) die sichere Behauptung einer bestimmten Tatsache voraussetzt. Nach (bislang) h.M. in der Rechtsprechung kann der Verteidiger aber auch dann einen Beweisantrag stellen, wenn er die von ihm behauptete Tatsache nur für möglich hält (Burhoff, HV, Rn 1063 ff.). Es scheint, als ob davon nun abgewichen werden soll (krit. die Stellungnahme der BRAK Nr. 30/2019 v. November 2019, S. 7 f. unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/november/stellungnahme-der-brak-2019–30.pdf). Aus der neuen Formulierung in § 244 Abs. 3 S. 1 StPO folgt das aber nicht.
☆ Im Hinblick auf diese Unsicherheit sollte der Verteidiger in diesen Fällen seinen Beweisantrag auf jeden Fall im Einzelnen begründen und näher darlegen , warum die Tatsache nicht sicher behauptet werden kann (→ Beweisantrag, Begründung , Rdn 505 ).näher darlegen, warum die Tatsache nicht sicher behauptet werden kann (→ Beweisantrag, Begründung, Rdn 505).
Rdn 515
cc) Nicht zulässig ist dagegen ein Beweisantrag ins "Blaue" hinein, also eine Behauptung, der jede – wenn auch schwache – tatsächliche Grundlage fehlt (vgl. BGH NJW 2008, 3446 = NStZ 2009, 554 = StV 2009, 57; NStZ 2008, 52 = StV 2007, 563 = StRR 2007, 303; StV 2008, 287 = StraFo 2008, 246; OL...