Ralph Gübner, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Außerhalb der HV gestellte Beweisanträge müssen in der HV wiederholt werden. |
2. |
Beweisanträge können bis zum Beginn der Urteilsverkündung gestellt werden. |
3. |
Der Richter kann den Betroffenen auffordern, sich innerhalb einer bestimmten Frist dazu zu äußern, welche Tatsachen und Beweismittel er zu seiner Verteidigung vorbringen will (§ 71 Abs. 2 S. 2) und verspätete Beweisanträge nach gem. § 77 Abs. 2 Nr. 2 ablehnen. |
Rdn 537
Literaturhinweise:
Bandilla/Hassemer, Zur Abhängigkeit strafrichterlicher Beweiswürdigung vom Zeitpunkt der Zeugenvernehmung im Hauptverfahren, StV 1989, 551
Barton, Der Zeitpunkt des Beweisantrages unter Berücksichtigung des Inertia-Effektes, StraFo 1993, 11
Hammerstein, Kann die Reihenfolge der Beweiserhebung das Urteil beeinflussen?, in: FS für Rudolf Schmitt, 1992, S. 323
Scheffler, Beweisanträge kurz vor oder während der Verkündung des Strafurteils, MDR 1993, 3
Schmid, Der spätere Beweisantrag, StraFo 1993, 53
s. auch die Hinw. bei → Beweisantrag, Allgemeines, Rdn 483.
Rdn 538
1.a) Das Recht, Beweisanträge zu stellen, gilt auch außerhalb der HV. Derartige Anträge auf Beweiserhebung sind jedoch keine förmlichen Beweisanträge und müssen aus diesem Grund in der HV wiederholt werden (OLG Hamm DAR 2011, 538 = VRR 2011, 354; vgl. Junker, Rn 125). Die Vorlegung schriftlicher Anträge kann den mündlichen Vortrag nicht ersetzen. Erfolgt in der HV keine Wiederholung des Antrags, so kann darin ein Verzicht auf die beantragte Beweiserhebung gesehen werden, was das Beruhen des Urteils auf einem diesbezüglichen Verfahrensverstoß ausschließen kann (s.a. OLG Hamm NZV 1998, 425; Beschl. v. 12.10.2007 – 3 Ss OWi 445/07). Die gleiche Situation ergibt sich, wenn in der HV ein Beweisantrag gestellt wurde und die HV zu einem späteren Zeitpunkt ausgesetzt wird. Im Rahmen einer neuen HV müssen entsprechend vorher gestellte Beweisanträge wiederholt werden (vgl. KG VA 2010, 197).
Rdn 539
b) Im OWi-Verfahren ist § 77 Abs. 2 Nr. 2 zu beachten. Danach kann ein Beweisantrag auch abgelehnt werden, wenn nach freier Würdigung des Beweismittels die zu beweisende Tatsache ohne verständigen Grund so spät vorgebracht wurde, dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der HV führen würde (vgl. OLG Hamm VA 2010, 122 = VRR 2010, 474). Der Betroffene handelt ohne verständigen Grund, wenn ihm ein früheres Vorbringen möglich und zumutbar gewesen wäre, so insbesondere, weil dies weder für ihn noch für einen seiner Angehörigen nachteilig gewesen wäre (Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 21). Jedoch reicht es zur Ablehnung des Beweisantrags nicht aus, dass die Beweiserhebung nur zur Vertagung führt (OLG Hamm, a.a.O.; → Hauptverhandlung, Beweisantrag, Ablehnung, Rdn 2438 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 20). Entscheidend ist also, ob die HV innerhalb der Frist des § 229 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 fortgeführt werden kann (zum Maßstab auch OLG Hamm DAR 2015, 275). Eine Ablehnung des Beweisantrags kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn die dem Gericht obliegende Aufklärungspflicht die Erhebung des beantragten Beweises gebietet (OLG Hamm VA 2010, 122 = VRR 2010, 474; KK/Senge, § 77 Rn 23). Dies gilt auch dann, wenn ein Antrag auf Vernehmung eines Entlastungszeugen gestellt wird, wenn sein unter Beweis gestelltes Wissen den Bekundungen des einzigen Belastungszeugen gegenübersteht und seine Benennung das Ziel hat, dessen Angaben zu widerlegen (KG StraFo 2012, 22). Allerdings sind Entlastungszeugen nicht ausnahmslos einzuvernehmen. Vielmehr darf das Gericht im Einzelfall bei der Entscheidung das bereits gewonnene Beweisergebnis unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit des Beweismittels und die beantragte Beweiserhebung gegeneinander abwägen (KG, a.a.O.).
☆ In einem solchen Fall wäre auch die Vorschrift des § 77 Abs. 2 Nr. 1 nicht einschlägig. Diese bestimmt, dass ein Beweisantrag auch dann abgelehnt werden kann, wenn das Gericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt und die weitere Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit nicht für erforderlich hält. Die fortbestehende Aufklärungspflicht des Gerichts darf also nicht verletzt werden (OLG Celle VRR 2010, 474 zum Beweisantrag auf Einvernahme des Bruders des Betroffenen, der Fahrer des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Begehung der OWi gewesen sein soll, in Spanien lebe und dem Betroffenen wie ein Ei dem anderen gleiche; s.a. OLG Brandenburg VRR 2012, 396 = VA 2012, 158). Folglich gilt das Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt , § 244 StPO Rn 88) nicht uneingeschränkt.§ 77 Abs. 2 Nr. 1 nicht einschlägig. Diese bestimmt, dass ein Beweisantrag auch dann abgelehnt werden kann, wenn das Gericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt und die weitere Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit nicht für erforderlich hält. Die fortbestehende Aufklärungspflicht des Gerichts darf also nicht verletzt werden (OLG Celle VRR...