Rz. 1
Der Versicherer muss entscheiden können, ob und zu welcher Prämie er Risiken abdeckt bzw. welche Kapazitäten er hierfür zur Verfügung stellt bzw. in welchem Umfang er die Risiken zeichnet. Für dieses sog. Underwriting braucht der Versicherer Informationen, dies können Auskünfte oder Unterlagen sein. Beliebt und verbreitet sind Antragsfragen, die in Textform gestellt werden und die der Versicherungsnehmer wahrheitsgemäß zu beantworten hat. Macht der Versicherungsnehmer falsche Angaben, gibt er z.B. falsche Bilanzzahlen an, verschweigt er etwa trotz Nachfrage, dass die Gesellschaft bereits in der Krise steckt, muss der Versicherer auf diese falschen Auskünfte reagieren können.
Rz. 2
Im Extremfall kann der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten, wodurch dieser nichtig wird (§ 123 BGB i.V.m. § 142 BGB). Weitere Sanktionen, die das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, sind der Rücktritt, die Vertragsanpassung oder Kündigung (§ 19 Abs. 2 bis 4 VVG). Bei der D&O-Versicherung besteht jedoch das Problem, dass diese auf fremde Rechnung zu Gunsten mehrerer Organmitglieder abgeschlossen wird und nicht alle versicherten Personen den Verstoß begangen haben oder von ihm Kenntnis gehabt haben müssen. So könnte bei dem vorgenannten Beispiel der fehlerhaften Bilanzzahlen nur eine der drei Aktienvorstände die fehlerhafte Angabe im Antrag erklärt haben. Die beiden anderen Vorstände wussten davon ggf. nichts. Erst Recht hatten die Organmitglieder bei den Tochtergesellschaften, die ebenfalls mitversichert werden sollten, davon keine Kenntnis, ggf. waren diese noch nicht einmal darüber informiert, dass die D&O-Versicherung abgeschlossen wurde. Außerdem können neue Organmitglieder hinzukommen, die zum Zeitpunkt des Verstoßes noch gar nicht amtiert haben. Alle diese Personen würden bei einer Nichtigkeit des Versicherungsvertrags gleichwohl ohne Versicherungsschutz dastehen.
Rz. 3
Lässt man also gemäß § 123 BGB eine Anfechtung des Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung zu, verlören alle Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte rückwirkend ihren Versicherungsschutz, weil der Versicherungsvertrag von Anfang nichtig wäre (§ 142 Abs. 1 BGB). Die Arglistanfechtung hat für den Versicherer den Vorteil, dass eine Anfechtung auch statthaft ist, wenn er den Versicherungsnehmer nicht belehrt hat oder er keine entsprechenden Fragen in Textform gestellt hat. Besonders schwerwiegende Gefahrumstände, wie eine Insolvenzreife der Versicherungsnehmerin sind unaufgefordert mitzuteilen. Grundsätzlich kann allerdings nicht allein wegen einer falschen Angabe im Antrag eine Arglist unterstellt werden. Der BGH verwendet die Formel, dass falsche Angaben in einem Versicherungsantrag nicht allein den Schluss auf eine arglistige Täuschung rechtfertigen. Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gäbe es nicht. Der BGH meint, dass die Arglist in subjektiver Hinsicht vielmehr zusätzlich voraussetze, dass der Versicherungsnehmer erkenne und billige, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen würde. Bei der Verneinung von Antragsfragen bei besonders gefahrerheblichen Umständen, wie die Nichterwähnung einer Insolvenzreife oder laufender Organhaftungsprozesse, wird meist bei dem Organmitglied, das den Antrag bearbeitet, Arglist vorliegen. Reicht ein Vorstandsmitglied aber z.B. einen fehlerhaften Abschluss nur an den Versicherer weiter, obwohl er von falschen Bilanzpositionen Kenntnis hat, muss dies keine Arglist begründen. Der Jahresabschluss sollte ggf. noch korrigiert werden, dies war möglicherweise schon in Arbeit, man hätte darauf zwar den Versicherer hinweisen müssen, aber dieses Verhalten kann auch nicht arglistig sein. Betreffen die Korrekturen sogar Positionen, die zu einer Steigerung des Eigenkapitals führen, z.B. weil Rückstellungen zu hoch passiviert wurden, liegt eine Arglist auch deshalb fern. Es würde im Übrigen auch an einem Gefahrumstand fehlen.
Rz. 4
Die Arglistanfechtung ist grundsätzlich binnen eines Jahres ab Kenntnis des Versicherers von dem Umstand, der die Arglist begründet, statthaft (§ 124 Abs. 1 BGB). Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind (§ 124 Abs.1 S. 3 BGB). Erfährt also der Versicherer erst nach Ablauf der zehn Jahre von der arglistigen Täuschung hätte er kein Recht zur Anfechtung des Versicherungsvertrags mehr.
Rz. 5
Zu einem Verlust des Versicherungsschutzes kann es auch bei einem Rücktritt nach § 19 Abs. 2 VVG kommen. Der Rücktritt ist bereits bei grober Fahrlässigkeit statthaft, erst Recht ist er bei Vorsatz oder Arglist eröffnet. Nach § 19 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung dem Versicherer die ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeige...