Rz. 28
Die Rettungs- bzw. Schadensminderungsobliegenheit trifft sowohl die Versicherungsnehmerin als auch den Versicherten. Die gesetzlichen Regelungen in den §§ 82, 83 VVG gelten auch für Haftpflichtversicherungen. Die Bedingungen vereinbaren die gesetzliche Obliegenheit zusätzlich als vertragliche Obliegenheit und konkretisieren dieselbe. So haben der Versicherte und Versicherungsnehmer nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen.
Rz. 29
Dabei hat der Versicherungsnehmer Weisungen des Versicherers, soweit für ihn zumutbar, zu befolgen sowie Weisungen – ggf. auch mündlich oder telefonisch – einzuholen, wenn die Umstände dies gestatten. Grundsätzlich treffen sowohl den Versicherungsnehmer als auch den Versicherten die Schadensminderungsobliegenheit. Die Versicherungsnehmerin unterliegt dieser Obliegenheit jedoch nur eingeschränkt´ bzw. nur im Hinblick auf ihr eigenes versichertes Interesse. Soweit sie diese Obliegenheit verletzt, wird dies nicht den Versicherten zurechnet (siehe oben bei I sowie bei A-8 AVB D&O II, III). Dies folgt bei der Schadenminderungsobliegenheit zusätzlich auch aus einer teleologischen Reduktion der Regelungen zur Obliegenheit. Diese gelten nicht soweit die Rechte der Versicherungsnehmerin als Dritte und Geschädigte in der Haftpflichtversicherung betroffen sind. Soweit es um ihre eigenen Ansprüche aus der Innenhaftung geht, kann von ihr nicht verlangt werden, dass sie bei der Durchsetzung dieser Ansprüche "schonend" oder "verhalten" auftritt oder dass sie ihre Rechte nicht geltend gemacht.
Rz. 30
So wäre zum Beispiel eine Verlängerung der Verjährungsfrist aus ihrer Sicht kein Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit. Anders stellt sich dies dar, wenn die Gesellschaft Maßnahmen unterlässt, die zu einer Verringerung des Schadens geführt hätten, also beispielsweise Ansprüche gegen Dritte nicht versicherte Anspruchsgegner wie einen Steuerberater nicht verfolgt oder auf diese verzichtet. Droht sich der Schaden aus der Innenhaftung zudem zu vergrößern, muss die GmbH - soweit ihr dies zumutbar ist - versuchen, diesen gering zu halten. Liegt zum Beispiel die Pflichtverletzung in dem Abschluss eines nachteiligen Vertrags durch das Leitungsmitglied, der aber gekündigt werden kann, muss dieses Kündigungsrecht wahrgenommen werden, wenn dadurch der Schaden geringgehalten werden kann. Wird zum Beispiel der Vorwurf erhoben, der Geschäftsführer habe einen Lagerraum angemietet, der gar nicht benötigt wird, weshalb eine nutzlose Miete gezahlt werde, müsste die erste Kündigungsmöglichkeit genutzt werden, um den Schaden einzudämmen. Ansonsten läge hierin ein Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit. Der Verstoß gegen dieselbe würde aber nicht dem Versicherten zugerechnet werden (siehe dazu oben die Ausführungen bei A-8 AVB D&O II). Ob diese Obliegenheit benötigt wird, steht indes auf einem anderen Blatt, weil schon der Haftungsanspruch durch ein Mitverschulden gekürzt werden dürfte.
Rz. 31
Die Rettungsobliegenheit gilt erst, wenn der Versicherungsfall bereits eingetreten ist. Die sog. Vorerstreckungstheorie gilt nach dem neuen VVG, das seit dem 1.1.2008 in Kraft getreten ist, nicht mehr. Das heißt, dass die Versicherungsnehmerin bzw. der Versicherte nicht vor Eintritt des Versicherungsfalls, wenn dieser droht bzw. unmittelbar bevorsteht, schon Rettungs- bzw. Schadenminderungsmaßnahmen ergreifen muss. Da bei der D&O-Versicherung der Anspruch aufgrund des vereinbarten Claims-made-Prinzips geltend gemacht werden muss, gilt die Rettungsobliegenheit erst ab diesem Zeitpunkt, also ab dem Moment, in dem dem Organmitglied der Beschluss über seine Inanspruchnahme zugeht. Dies führt indes nicht zu unbilligen Ergebnissen. Denn wenn der Versicherungsnehmer oder der Versicherte "sehenden Auges" den Schaden nicht geringhalten, würden sie diesen Teil des Schadens vorsätzlich herbeiführen, so dass sie dafür keinen Versicherungsschutz hätten (§ 103 VVG). Dies wäre z.B. bei der Insolvenzverschleppung der Fall. Diese könnte zunächst fahrlässig begonnen haben, dann jedoch in eine vorsätzliche Insolvenzverschleppung umschlagen. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung wäre nicht mehr versichert. Daher muss die Schadensminderungsobliegenheit nicht vorverlegt werden, was wegen der halbzwingenden Vorschriften der §§ 82, 83 VVG auch nur bei einem Großrisiko durch eine vertragliche Regelung möglich wäre (siehe § 87 VVG). Fraglich ist allerdings, ob vorgezogene Rettungskosten beansprucht werden können. Dies sieht § 90 VVG für die Sachversicherung vor. Danach kann der Versicherungsnehmer Aufwendungen ersetzt verlangen, um einen unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall abzuwehren. In der Feuerversicherung wären dies z.B. Löschmaßnahmen auf dem Nachbargrundstück, die dazu führen, dass das Feuer gar nicht erst das versicherte Gebäude erreicht. Die Aufwendungen für das Löschwasser wären vorgezogene Rettungskosten, die vom Versicherer nach § 93 VVG zu erstatten wären. Bei der D&O-...