Das Wichtigste in Kürze

1. Die Beweiswürdigung obliegt im EV der StA.
2. Auf diese Entscheidung kann die Verteidigung durch eine Stellungnahme im EV erheblich Einfluss nehmen.
3. In einigen Konstellationen wird die Bindung an die Rspr. besonders relevant.
 

Rdn 1419

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → Beweiswürdigung, Aussage-gegen-Aussage, Teil B Rdn 1428

→ Glaubwürdigkeitsgutachten, Teil G Rdn 2512.

 

Rdn 1420

1. Die Beweiswürdigung obliegt im EV der StA. Ihr obliegt die Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts und die mit der Abschlussverfügung anzustellende Verurteilungsprognose. Zu prüfen ist lediglich, ob die Beweismittel aufgrund vorläufiger Bewertung eine Verurteilung mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen (BGH StV 2001, 579), somit handelt es sich vielmehr um eine Beweisbarkeitsprognose. Die Aufklärung von Widersprüchen zwischen den Angaben des Beschuldigten und den vorhandenen Beweisergebnissen darf der Hauptverhandlung überlassen werden (BGH NJW 1970, 1543).

 

Rdn 1421

2.a) Auf diese Entscheidung kann die Verteidigung durch eine Stellungnahme im EV erheblich Einfluss nehmen. Sie hat das "Aufschlagsrecht", da der zuständige Dezernent die Akten häufig erstmals bei Wiedervorlage der Akten mit der Stellungnahme genauer lesen wird. Es empfiehlt sich daher, die Chance der Vorstellung des Sachverhalts nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Die Stellungnahme kann sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht mit dem vorgeworfenen Verhalten auseinandersetzen und entlastende Tatsachen mitteilen. Besonderes Augenmerk gilt hierbei insbesondere den Prozessvoraussetzungen (eingehend → Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens, Teil E Rdn 2168, und zu möglichen BVV → Beweisverwertungsverbote, Allgemeines, Teil B Rdn 1287 ff.)

 

Rdn 1422

b) Die rechtliche Bindung der StA ergibt sich zum einen aus dem Legalitätsgrundsatz (§ 152 Abs. 2) – zum anderen aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die StA ist in Ihrer eigenen Organisation zwar unabhängig, sie kann jedoch nicht verbindlich Rechtsnormen auslegen, da die rechtsprechende Gewalt den Richtern vorbehalten ist (Art. 92 GG). Daraus folgt, dass auch die StA an die gefestigte höchstrichterliche Rspr. insoweit gebunden ist. Somit ist entscheidend, wann eine solche "gefestigte Rechtsprechung" vorliegt. Dies dürfte eher selten der Fall sein. Zum einen reichen bereits berechtigte Zweifel an einer "gefestigten Rspr.", um die Bindung der StA an die Rspr. entfallen zu lassen. Zum anderen kann gefestigte Rspr. nur dann vorliegen, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage höchstrichterlich und eindeutig geklärt ist und es keine abweichende Rechtsentwicklung gibt. Zudem muss es sich um aktuelle Rspr. handeln.

 

Rdn 1423

3. (Besonders) relevant wird die Bindung an die Rspr. in folgenden Konstellationen:

 

Rdn 1424

a) Hält die StA ein Verhalten für strafbar, die Rspr. indes nicht, kann sie trotzdem Anklage erheben. Anders verhält es sich, soweit sie ein Verhalten für straflos hält, es nach der aktuellen Rspr. jedoch strafbar wäre. Hier entsteht ein Konflikt wegen des Legalitätsprinzips. Hier wird die StA anklagen; diese Anklage kann jedoch dazu genutzt werden, eine Änderung der Rspr. herbeizuführen. Zwar erscheint dieses Verhalten zunächst widersprüchlich, ist aber vom Gesetzgeber intendiert, was § 150 belegt (vgl. MüKo-GVG/Brocke § 150 Rn 4–8; Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 141 Rn 11).

 

Rdn 1425

b) Von besonderer Bedeutung ist die Informations- und Umgrenzungsfunktion der → Anklageschrift, Teil A Rdn 572 ff. Es ist darauf zu achten, dass die Beweismittel, die zum hinreichenden Tatverdacht geführt haben, auch in den Beweismitteln der Anklage auftauchen. Andernfalls ist die Beweisführung der StA intransparent für den Angeschuldigten und der Verteidigung wird eine Vorbereitung erschwert. Dies folgt bereits aus § 200 Abs. 2 wonach das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt werden muss (hierzu auch: RiStBV Nr. 111).

 

☆ Relevant wird dieser Punkt für die Revision, da Verfahrensrecht auch verletzt ist, sobald eine vorgeschriebene Handlung unvollständig vorgenommen worden ist. Voraussetzung ist, dass der Kern der Vorschrift – hier z.B. die Darstellung der wesentlichen Ergebnisse der Ermittlung – missachtet wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt , § 337 Rn 9; s.a. Burhoff/Kotz/ Junker , RM, Teil A Rn 2310 ff.).Meyer-Goßner/Schmitt, § 337 Rn 9; s.a. Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 2310 ff.).

 

Rdn 1426

c) Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Prognoseentscheidung durch eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung getroffen wird – der in dubio pro reo – Grundsatz findet hier indes keine Anwendung. Dieser kann nur bei entscheidungserheblichen Tatsachen angewandt werden, nicht auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung. Für die Wahrscheinlichkeitsprognosen gilt Gleiches (KK-Ott, 261 Rn 81–82; Meyer-Goßner/Schmitt, § 261 Rn 29).

Siehe auch: → Beweiswürdigung, Aussage-gegen-Aussage, Teil B Rdn 1427; → Glaubwürdigkeitsgutachten, Teil G Rdn 2511.

[Autor] Laudon

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge