Das Wichtigste in Kürze:

1. Aussage gegen Aussage steht nur dann, wenn keine weiteren, unmittelbar tatbezogenen Beweismittel vorliegen außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen. Dies gilt auch, wenn der Beschuldigte schweigt.
2. Das Gericht – und im EV die StA – trifft bei dieser Beweislage eine erhöhte Aufklärungspflicht unter Berücksichtigung der anerkannten Grundsätze der Aussagepsychologie.
3. Die Bewertung der Aussagetüchtigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit der Person, einen spezifischen Sachverhalt korrekt wahrzunehmen, diesen in der zwischen dem Geschehen und der Befragung liegenden Zeit im Gedächtnis zu bewahren, das Ereignis verlässlich abzurufen, die Geschehnisse in der Befragungssituation verbal wiederzugeben und selbst Erlebtes von anders generierten Vorstellungen zu unterscheiden
4. Wenig sinnvoll ist regelmäßig, in einer Stellungnahme nur die (abweichende) Ansicht des Geschehens aus Sicht des Mandanten wiederzugeben.
5. Auch die Strafmaßverteidigung kann Aktivitäten im EV erfordern, etwa um die Anzahl der Tatvorwürfe in einer Stellungnahme bzw. deren Intensität zu bestreiten.
6. Die Beweiswürdigung kann mit der Revision angegriffen werden, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Die Beweiswürdigung muss insbesondere auch erschöpfend sein.
 

Rdn 1428

 

Literaturhinweise:

Baumhöfener, Akteneinsicht des Nebenklägers – Gefährdung des Untersuchungszwecks bei der Konstellation Aussage-gegen-Aussage, NStZ 2014, 135

Bender/Häcker/Schwarz, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl. 2021

Brause, Glaubhaftigkeitsprüfung und -bewertung einer Aussage im Spiegel der höchstrichterlichen Rechtsprechung, NStZ 2013, 129

Deckers, Glaubhaftigkeitsprüfung 2018, in: Deckers/Köhnken (Hrsg.), Die Erhebung und Bewertung von Zeugenaussagen im Strafprozess (3. Band), 2019, S. 182 ff.

Fischer, Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Beweiswürdigung – Von der Last der "ureigenen Aufgabe" –, NStZ 1994, 1

Greuel, in: Greuel/Offe/Fabian u.a. (Hrsg.), Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998

Kröber, Die schrittweise interaktive Entstehung einer Fehlbeschuldigung sexuellen Missbrauchs, FPPK 2013, 240

Laudon, Aussage gegen Aussage und Falschbeschuldigung im Sexualstrafrecht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff, 2020, S. 59

Nack, Verteidigung bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Aussagen, StV 1994, 555

Schroth/­Deckers, Sexualstrafrecht, in: MAH § 49

Schwenn, Fehlurteile und ihre Ursachen – die Wiederaufnahme in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs, StV 2010, 705

s.a. die Hinw. bei → Glaubwürdigkeitsgutachten, Teil G Rdn 2511.

 

Rdn 1429

1.a) Die Beweiskonstellation von Aussage gegen Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Beschuldigten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann. Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Beschuldigte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (OLG Hamburg NStZ 2015, 105).

 

☆ Der Verteidiger muss sich bewusst sein , dass die Verteidigung im Sexualstrafrecht zu den anspruchsvollsten, weil streitigen Verteidigungen zählt und man ein Mandat nur übernehmen sollte, wenn man dieses auch tatsächlich im Sinne des Mandanten zu führen bereit ist. Zwar sollte man seinem Mandanten sicher nicht alles glauben, aber auch ein falsches Geständnis unter Strafzumessungsgesichtspunkten ist selten der richtige Weg.Verteidiger muss sich bewusst sein, dass die Verteidigung im Sexualstrafrecht zu den anspruchsvollsten, weil streitigen Verteidigungen zählt und man ein Mandat nur übernehmen sollte, wenn man dieses auch tatsächlich im Sinne des Mandanten zu führen bereit ist. Zwar sollte man seinem Mandanten sicher nicht "alles" glauben, aber auch ein falsches Geständnis unter Strafzumessungsgesichtspunkten ist selten der richtige Weg.

Zudem muss der Verteidiger sich stets darüber im Klaren sein, dass die Verteidigung im Sexualstrafrecht stets vor dem Hintergrund hoher Emotionalisierung stattfindet. Überschießenden Emotionen begegnet er am besten mit hoher Sachkunde (Schroth/Deckers Rn 15 f.). Vor Übernahme des Mandats sollte er sich selbstkritisch fragen, ob er sich der sachgerechten Mandatsbearbeitung einerseits fachlich, andererseits emotional gewachsen fühlt (→ Verteidiger, Übernahme des Mandats, Teil V Rdn 4975).

 

Rdn 1430

2.a) Das Gericht – und im EV die StA – trifft bei dieser Beweislage eine erhöhte Aufklärungspflicht (BGH StV 2008, 233) unter Berücksichtigung der anerkannten Grundsätze der Aussagepsychologie (Bender/Häcker/Schwarz, Rn 341 mit Verweis auf BGH NStZ-RR 2003, 206). Die Aussage des Zeugen muss hierbei geeignet sein, die für den Beschuldigten streitende Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zu überwinden (Brause NStZ 2013, 129, 131). Erforderlich da...

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