Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg. Solo-Selbstständige
Leitsatz (amtlich)
Nimmt die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft „Betriebe”, die keine Arbeitnehmer beschäftigen (Solo-Selbstständige), auf Zahlung des Mindestbeitrags für die Berufsbildung gemäß § 17 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF vom 10. Dezember 2014 in Anspruch, ist nicht der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben, sondern nach § 13 GVG der zu den ordentlichen Gerichten. Solo-Selbstständige sind keine Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG.
Leitsatz (redaktionell)
Für Verfahren der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft gegen „Betriebe”, die keine Arbeitnehmer beschäftigen (Solo-Selbstständige) ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 6; GVG §§ 13, 17a Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Mai 2017 – 20 Ta 453/17 – aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Januar 2017 – 61 Ca 81702/16 – abgeändert.
Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder) verwiesen.
3. Die Kosten der Beschwerde und der Rechtsbeschwerde hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung des Mindestbeitrags für die Berufsbildung nach § 17 des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF vom 10. Dezember 2014 und vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs.
Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit Rechtsfähigkeit aufgrund staatlicher Verleihung. Er erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren und zieht als gemeinsame Einzugsstelle der Sozialkassen des Baugewerbes sowohl seine eigenen Beiträge als auch die Beiträge zu den übrigen Sozialkassen ein. Er macht geltend, der Beklagte unterhalte, ohne Arbeitnehmer zu beschäftigen, einen Platten-, Fliesen- und Mosaikverlegebetrieb iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV.
Im VTV heißt es, soweit maßgeblich, wie folgt:
”Abschnitt IV Sozialkassenbeiträge |
… |
§ 17 |
Mindestbeitrag für die Berufsbildung |
Zur Aufbringung der Mittel für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen im Berufsbildungsverfahren haben die Betriebe, auch wenn sie keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen, unter Anrechnung auf dem Beitragsanteil nach § 15 Abs. 1 bis 3 einen jährlichen Betrag für den Zeitraum Oktober bis September des Folgejahres in Höhe von mindestens 900,00 EUR spätestens bis zum 20. November nach diesem Zeitraum zu zahlen. Entsteht oder endet die Beitragspflicht im Laufe dieses Zeitraumes, so ist für jeden angefangenen Kalendermonat ein Zwölftel des jährlichen Mindestbeitrages abzuführen.
Erstmals ist für den Zeitraum April bis September 2015 abweichend von Satz 1 ein Mindestbeitrag in Höhe von 450,00 EUR unter Anrechnung auf dem Beitragsanteil nach § 15 Abs. 1 bis 3 zu zahlen; …
Abschnitt V Schlussbestimmungen |
… |
§ 23 |
Erfüllungsort und Gerichtsstand |
… |
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(2) |
Abweichend von Abs. 1 ist Berlin Gerichtsstand für Ansprüche der ZVK-Bau und der ULAK gegen Arbeitgeber mit Betriebssitz im Gebiet der fünf neuen Bundesländer und deren Arbeitnehmer sowie für Ansprüche dieser Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegen diese Kassen. |
…” |
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Der Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen gerügt. Er sei kein Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG. Ausschließlich zuständig seien nach § 87 GWB die Kartellgerichte, da die streitgegenständliche Ausbildungskostenumlage auf eine Anbieterpreisverteuerung ziele und deshalb wie eine Preisabsprache solo-selbstständiger Bauunternehmer wirke.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG seien auch Betriebsinhaber, die keine Arbeitnehmer beschäftigen, solche aber beschäftigen könnten.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beklagte, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und nach § 78 ArbGG, §§ 574 ff. ZPO zulässige Rechtsbeschwerde des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen angenommen. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG eröffnet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, dass es sich vorliegend um eine bürgerliche Streitigkeit handelt.
a) Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (BAG 22. November 2016 – 9 AZB 41/16 – Rn. 9).
b) Der Kläger ist kein Träger hoheitlicher Gewalt. Er erbringt lediglich auf tariflicher Grundlage die dort festgelegten Leistungen und ist berechtigt, hierfür bei den tariflich verpflichteten Arbeitgebern Beiträge einzuziehen. Es handelt sich um eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit Rechtsfähigkeit aufgrund staatlicher Verleihung (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 3, BAGE 156, 213).
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Beklagte nicht Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG.
a) Für den Begriff des Arbeitgebers gibt es keine gesetzliche Definition. Erlässt sich mittelbar aber aus dem Begriff des Arbeitnehmers ableiten. Arbeitgeber ist danach derjenige, der mindestens einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person iSv. § 5 ArbGG beschäftigt (BAG 15. März 2011 – 10 AZB 49/10 – Rn. 7 mwN, BAGE 137, 215). Diese Voraussetzungen erfüllt der Beklagte nicht. Er beschäftigt keine Arbeitnehmer.
b) Das Landesarbeitsgericht meint zu Unrecht, der Beklagte sei verfahrensrechtlich wie ein Arbeitgeber zu behandeln.
aa) Es führt hierzu ua. aus, als Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG sei jede Person anzusehen, die von einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien mit der Rechtsbehauptung in Anspruch genommen werde, sie sei zulässigerweise als „Arbeitgeber” im Sinne der Tarifnorm zur Zahlung verpflichtet.
Das trifft nicht zu. Der Kläger nimmt den Beklagten ausschließlich nach § 17 VTV in Anspruch. Die dort geregelte Beitragspflicht besteht gerade nur für „Betriebe”, die keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen. Der Kläger verlangt vom Beklagten deshalb aus § 17 VTV die Zahlung, weil er keine Arbeitnehmer beschäftigt und kein Arbeitgeber ist.
bb) Aus diesen Gründen geht auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene weite Auslegung des Arbeitgeberbegriffs nach dem ArbGG fehl. Es mag sein, dass es Ziel des ArbGG ist, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die in einer greifbaren Beziehung zu einem Arbeitsverhältnis stehen, auch prozessual den Gerichten für Arbeitssachen zuzuweisen (vgl. BAG 25. November 2014 – 10 AZB 52/14 – Rn. 8). An einer solchen Beziehung fehlt es aber hier. Der Kläger stützt den geltend gemachten Klageanspruch ausdrücklich darauf, der Beklagte sei verpflichtet, den Beitrag zu leisten, obwohl er kein Arbeitgeber ist. Dass die Beiträge gemäß § 17 VTV den Zweck haben, für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen im Berufsbildungsverfahren verwendet zu werden, reicht nicht aus. Die streitgegenständliche Beitragspflicht selbst hat keinerlei Beziehung oder Zusammenhang zu einem Arbeitsverhältnis.
cc) Ebenso wenig kann darauf abgestellt werden, die Arbeitgebereigenschaft sei erfüllt, wenn die Beschäftigung von Arbeitnehmern zwar noch nicht gegeben, aber schon beabsichtigt sei. Zwar hat die Rechtsprechung angenommen, die Tariffähigkeit des Arbeitgebers setze nicht erst mit Abschluss des ersten Arbeitsvertrags ein. Es genüge vielmehr, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern vorgesehen sei (BAG 24. Juni 1998 – 4 AZR 208/97 – zu 1 a der Gründe, BAGE 89, 193). Selbst wenn dies auch auf den Arbeitgeberbegriff des ArbGG zu übertragen wäre, hat der Kläger eine solche Absicht nicht behauptet. Er stützt sich mit § 17 VTV gerade darauf, Arbeitnehmer würden nicht beschäftigt.
c) Aus den genannten Gründen liegt auch kein Sic-non-Fall vor.
aa) Dabei handelt es sich um Klagen, die nur dann begründet sein können, wenn anspruchs- und rechtswegbegründende Tatsachen identisch sind (doppelrelevante Tatsachen). Der Klageerfolg hängt dann auch von den Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind (BAG 17. Februar 2003 – 5 AZB 37/02 – zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 1).
bb) Solche doppelrelevanten Tatsachen liegen hier nicht vor. Die Beitragspflicht nach § 17 VTV hängt nicht davon ab, dass der dort genannte Beitragsschuldner „Betrieb” Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG ist.
3. Damit ist gemäß § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Der Rechtsstreit ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder) (§ 13 ZPO) zu verweisen.
a) Bei einem Streitwert in Höhe von 450,00 Euro ist gemäß § 23 Nr. 1 GVG das Amtsgericht zuständig. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu beurteilen, ob eine sachliche Zuständigkeit des Landgerichts als Kartellgericht gemäß § 87 GWB gegeben ist. Dies hat das Amtsgericht im Rahmen des § 281 ZPO zu prüfen, da der Beklagte eine Zuständigkeit des Kartellgerichts geltend macht. Beschlüsse nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG sind nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, nur hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Das Gericht, an das der Rechtsstreit von einem Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen worden ist, kann wegen örtlicher und wegen sachlicher Unzuständigkeit innerhalb „seines” Rechtswegs weiterverweisen. Das Beschwerde- oder das Rechtsbeschwerdegericht ist deshalb verfahrensrechtlich nicht in der Lage, seiner Verweisungsentscheidung auch in Bezug auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit innerhalb des anderen Rechtswegs bindende Wirkung zu verleihen (vgl. BAG 20. September 1995 – 5 AZB 1/95 – zu II der Gründe).
b) Der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Bad Freienwalde (Oder) gemäß § 13 ZPO steht nicht § 23 Abs. 2 VTV entgegen. Danach ist Berlin Gerichtsstand für Ansprüche der ULAK gegen Arbeitgeber mit Betriebssitz im Gebiet der fünf neuen Bundesländer. Eine solche Prorogation nach § 48 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG setzt voraus, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist. Zudem müsste der Beklagte Arbeitgeber iSd. ArbGG sein. Beides ist hier nicht der Fall.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Brühler, Suckow, Krasshöfer
Fundstellen
BAGE 2018, 22 |
DStR 2017, 12 |
FA 2017, 325 |
NZA 2017, 1143 |
NZG 2017, 5 |
AP 2017 |
AuA 2019, 250 |
DZWir 2017, 577 |
EzA-SD 2017, 13 |
AUR 2017, 423 |
ArbRB 2017, 262 |
ArbRB 2017, 310 |
AP-Newsletter 2017, 215 |