Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlberechtigung zur Jugend- und Auszubildendenvertretung

 

Leitsatz (amtlich)

Überläßt ein Betriebsinhaber einem Dritten vertraglich Einrichtungen seines Betriebes (hier einen Teil seiner Lehrwerkstatt), damit der Dritte dort mit eigenen Lehrkräften die Berufsausbildung seiner Auszubildenden durchführen kann, ohne daß die Auszubildenden dem Weisungsrecht des Betriebsinhabers unterliegen, so werden die Auszubildenden des Dritten nicht zu Angehörigen dieses Betriebes und damit auch nicht wahlberechtigt zu dessen Jugend- und Auszubildendenvertretung. Daß die Auszubildenden des Dritten den Frühstücksraum und die Toilettenanlagen des Betriebes mitbenutzen dürfen und daß ihre Arbeitsbereiche nicht durch Trennwände oder sonstige Vorrichtungen von denen der Auszubildenden des Betriebsinhabers räumlich abgetrennt sind, ändert hieran nichts.

 

Normenkette

BetrVG §§ 60-63, 19

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Beschluss vom 12.09.1989; Aktenzeichen 11 TaBV 25/89)

ArbG Emden (Beschluss vom 15.02.1989; Aktenzeichen 2 BV 18/88)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerden des Betriebsrates sowie der Jugend- und Auszubildendenvertretung gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12. September 1989 – 11 TaBV 25/89 – werden zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Wahlanfechtung über die Zahl der Mitglieder, aus denen gemäß § 62 Abs. 1 BetrVG die Jugend- und Auszubildendenvertretung im Betrieb der antragstellenden Arbeitgeberin zu bestehen hat.

Die Antragstellerin unterhält in R… einen Betrieb zur Herstellung von Reißverschlüssen. Sie beschäftigte dort im Herbst 1988 vierzehn Jugendliche, deren Ausbildungsverträge unmittelbar mit ihr abgeschlossen worden waren. Die Jugendlichen wurden in der Lehrwerkstatt der Antragstellerin zum Industriemechaniker ausgebildet.

Darüber hinaus wurden in der Lehrwerkstatt der Antragstellerin zwölf Jugendliche zum Energieelektroniker ausgebildet, deren Ausbildungsverträge mit dem “Arbeitskreis Schule R… e. V.” (im folgenden: AKS) abgeschlossen worden sind. Dieser Verein führt Bildungsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche durch. Die Ausbildung dieser zwölf Jugendlichen des AKS zum Energieelektroniker in der Lehrwerkstatt der Antragstellerin dauert insgesamt 28 1/2 Monate und erfolgt durch Lehrkräfte des AKS. Die Auszubildenden erhalten ihre Ausbildungsvergütung vom AKS. Die Antragstellerin stellt dem AKS die erforderlichen Räumlichkeiten gegen Kostenerstattung zur Verfügung. In der Lehrwerkstatt sind dem AKS zwölf Werkbänke zugewiesen, die von den Ausbildungsplätzen der Antragstellerin räumlich nicht abgetrennt sind. Alle Auszubildenden benutzen denselben Frühstücksraum und dieselben Toilettenanlagen. Die Arbeitszeiten der beiden Auszubildendengruppen sind unterschiedlich.

Seit dem 5. Dezember 1988 nehmen während ihrer 28 1/2-monatigen Ausbildungszeit jeweils zwei Jugendliche des AKS im rollierenden System an einem viermonatigen Praktikum im Betrieb der Antragstellerin teil. Während dieses Praktikums werden sie durch Arbeitnehmer der Antragstellerin, unter anderem an den Reißverschluß-Vollautomaten der Antragstellerin, ausgebildet.

Anläßlich der Wahl zur Jugend- und Auszubildendenvertretung am 25. November 1988 ging der Wahlvorstand von 26 im Betrieb der Antragstellerin beschäftigten Auszubildenden aus. Es wurden daraufhin drei Jugend- und Auszubildendenvertreter gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 25. November 1988 bekanntgegeben.

Mit dem am 8. Dezember 1988 eingeleiteten Beschlußverfahren hat die Antragstellerin die Wahl angefochten. Zur Begründung hat sie vorgetragen, nach § 62 Abs. 1 BetrVG habe nur ein Jugend- und Auszubildendenvertreter gewählt werden dürfen. Denn sie beschäftige in ihrem Betrieb lediglich vierzehn Auszubildende. Die anderen zwölf Auszubildenden würden vom AKS beschäftigt. Sie seien in ihren Betrieb nicht eingegliedert.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung vom 25. November 1988 für unwirksam zu erklären.

Der beteiligte Betriebsrat sowie die beteiligte Jugend- und Auszubildendenvertretung haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie haben vorgetragen, der Wahlvorstand habe die zwölf Praktikanten des AKS zu Recht bei der Wahl berücksichtigt. Sie seien aufgrund der tatsächlichen betrieblichen Praxis wie alle anderen Arbeitnehmer der Antragstellerin in den Produktionsablauf eingegliedert worden. Aufgrund der fehlenden räumlichen Trennung und aufgrund der Mitbenutzung der Sozialräume habe ein außenstehender Dritter sie nicht von den eigenen Auszubildenden der Antragstellerin unterscheiden können. Dies gelte insbesondere hinsichtlich des viermonatigen Betriebspraktikums. Für die Berechnung der Größe der Jugend- und Auszubildendenvertretung sei es unerheblich, für welchen Zeitraum Auszubildende in den Betrieb eingegliedert seien.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen erhobenen Beschwerden des Betriebsrats und der Jugend- und Auszubildendenvertretung zurückgewiesen. Mit den zugelassenen Rechtsbeschwerden begehren der Betriebsrat sowie die Jugend- und Auszubildendenvertretung weiterhin die Zurückweisung des erstinstanzlichen Antrages. Die Antragstellerin beantragt, die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerden sind unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Anfechtung der im Betrieb der Antragstellerin am 25. November 1988 durchgeführten Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung gemäß § 63 Abs. 2 Satz 2 i. Verb. m. § 19 BetrVG zu Recht durchgreifen lassen. Nach § 62 Abs. 1 BetrVG war nur ein Jugend- und Auszubildendenvertreter zu wählen, da die Antragstellerin in ihrem Betrieb in der Regel weniger als 21 Arbeitnehmer i. S. von § 60 Abs. 1 BetrVG beschäftigte. Der Wahlvorstand durfte von den zwölf Auszubildenden des AKS allenfalls jeweils zwei berücksichtigen, so daß für die Anwendung des § 62 Abs. 1 BetrVG von höchstens sechzehn der in § 60 Abs. 1 BetrVG genannten Arbeitnehmer auszugehen ist.

1. Mit dem Landesarbeitsgericht kann zugunsten der Rechtsbeschwerdeführer unterstellt werden, daß auch die im Vertragsverhältnis zum AKS stehenden Auszubildenden während der vier Monate, in denen sie in einem Betriebspraktikum durch Arbeitnehmer der Antragstellerin ausgebildet werden, bei der nach § 62 Abs. 1 BetrVG maßgebenden Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen sind. Denn weil jeweils nur zwei dieser Auszubildenden im rollierenden System an diesem viermonatigen Praktikum teilnehmen, es aber gemäß § 62 Abs. 1 BetrVG auf die Zahl der “in der Regel” Beschäftigten ankommt, erhöht sich hierdurch die nach § 62 Abs. 1 BetrVG maßgebende Beschäftigtenzahl nur von 14 auf 16 und damit auf eine Zahl, die es nach dieser Vorschrift noch nicht rechtfertigt, drei Jugend- und Auszubildendenvertreter zu wählen.

2. Hinsichtlich der übrigen 24 1/2 Monate ihrer Ausbildungszeit gehören, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, die im Vertragsverhältnis zum AKS stehenden Auszubildenden nicht dem Betrieb der Antragstellerin an, so daß sich die gemäß § 62 Abs. 1 BetrVG maßgebende Zahl nicht über 16 hinaus weiter erhöht.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Frage offengelassen, ob nur solche Auszubildenden als betriebszugehörig anzusehen sind, die im Vertragsverhältnis zum Inhaber des Betriebes stehen. Denn auf diese Frage kommt es im Entscheidungsfalle nicht an, weil die Betriebszugehörigkeit jedenfalls die tatsächliche Eingliederung in die Betriebsorganisation voraussetzt (vgl. z.B. BAG Beschluß vom 18. Januar 1989 – 7 ABR 21/88 – AP Nr. 1 zu § 9 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) und es nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts während der außerhalb des Betriebspraktikums liegenden 24 1/2 Monate bereits an dieser Voraussetzung fehlt.

Das Landesarbeitsgericht hat für diesen Zeitraum festgestellt, die Ausbildung der im Vertragsverhältnis zum AKS stehenden Jugendlichen erfolge durch Lehrkräfte des AKS. Dem Weisungsrecht der Antragstellerin seien sie weder hinsichtlich ihrer Ausbildung noch hinsichtlich sonstiger Verhaltensweisen unterstellt worden.

Diese tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen gemäß § 561 ZPO gebunden ist, rechtfertigen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, daß die im Vertragsverhältnis zum AKS stehenden Auszubildenden außerhalb ihres viermonatigen Praktikums nicht in den Betrieb der Antragstellerin eingegliedert sind. Denn die bloße Mitbenutzung der Lehrwerkstatt und der Sozialräume führt noch nicht zu einer Einordnung in die Betriebsorganisation. Unerläßlich hierfür wäre eine Unterstellung der Jugendlichen unter das Weisungsrecht der Antragstellerin. Gerade hieran aber fehlt es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.

Soweit die Rechtsbeschwerdeführer rügen, das Landesarbeitsgericht habe ihren Sachvortrag teilweise unberücksichtigt gelassen, fehlen hierfür jegliche Anhaltspunkte. Das Landesarbeitsgericht hat sich vielmehr mit dem gesamten Sachvortrag eingehend auseinandergesetzt. Es hat ihn lediglich weitgehend für unerheblich gehalten, weil sich das Fehlen der tatsächlichen Eingliederung bereits aus dem festgestellten Fehlen eines Weisungsrechts der Antragstellerin ergebe. Diese rechtliche Würdigung aber ist nicht zu beanstanden; auch die Rechtsbeschwerdeführer haben insoweit keine Einwendungen erhoben.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Steckhan, Ruppert, Lappe

 

Fundstellen

Haufe-Index 841065

RdA 1990, 380

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