Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6, § 329; ArbGG n.F. § 48 Abs. 1; GVG § 17a Abs. 2; GVG n.F. § 17a Abs. 4; BGB § 269
Verfahrensgang
ArbG Hanau (Beschluss vom 22.03.1995; Aktenzeichen 1 Ca 98/95) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Hanau bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um Schadenersatz und Schmerzensgeldansprüche aus einer Schlägerei.
Beide Parteien sind Auszubildende bei der Firma S. …. Am 3. Februar 1992 kam es außerhalb des Werksgeländes auf dem Weg von der Ausbildungsstätte nach Hause auf dem Busbahnhof zu Tätlichkeiten, bei denen der Kläger verletzt wurde.
Nach Gewährung rechtlichen Gehörs erklärte sich das Amtsgericht Hanau auf Antrag des Klägers, mit dem sich der Beklagte einverstanden erklärt hatte, für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Hanau. Der Beschluß enthält, keine Begründung und wurde den Parteien auch nicht zugestellt.
Durch Kammerbeschluß vom 22. März 1995 erklärte sich das Arbeitsgericht Hanau für unzuständig und lehnte die Übernahme des Rechtsstreits ab. Dieser Beschluß wurde den Parteien formlos übersandt, aber nicht zugestellt.
Das Amtsgericht Hanau, dem die Akte zurückgesandt wurde, hat sie dem Bundesarbeitsgericht mit der Bitte übersandt, nach § 36 Nr. 6 ZPO das zuständige Gericht zu bestimmen.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Hanau. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hanau ist bindend.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAGE 44, 246 = AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Amtsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen wurde (vgl. Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe; BGHZ 44, 14, 15).
Das Amtsgericht Hanau und das Arbeitsgericht Hanau haben sich für unzuständig erklärt, ersteres durch Beschluß vom 24. Februar 1995, letzteres durch Beschluß vom 22. März 1995.
2. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hanau ist rechtskräftig.
a) Verweisungsbeschlüsse nach § 17 a GVG n.F. sind förmlich zuzustellen (§ 329 Abs. 3 ZPO). Das abgebende Gericht darf die Akte nicht vor Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses an das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, übersenden (§ 17 b Abs. 1 GVG n.F.). Bei unterbliebener Zustellung von Verweisungsbeschlüssen ordentlicher Gerichte sind aber die §§ 516, 552 ZPO entsprechend anzuwenden. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beginnt dann fünf Monate nach der Verkündung oder – bei nicht verkündeten Beschlüssen – fünf Monate nach der formlosen Mitteilung des Verweisungsbeschlusses. Das hat der Senat mit ausführlicher Begründung in seinem Beschluß vom 1. Juli 1992 (– 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1, BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164) dargelegt. Hierauf wird verwiesen.
Vor Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses kommt daher eine endgültige Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Bundesarbeitsgericht nicht in Betracht. Vielmehr hat sich das Bundesarbeitsgericht in derartigen Fällen auf die Klarstellung zu beschränken, daß der Rechtsstreit wegen fehlender Rechtskraft noch immer vor dem verweisenden Gericht anhängig ist (BAG Beschluß vom 22. Februar 1993 – 5 AS 4/93 – n.v.).
b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hanau ist den Parteien zu keiner Zeit vom Gericht zugestellt worden. Eine Heilung dieses Mangels kommt nicht in Betracht (§ 187 Satz 2 ZPO). Das Amtsgericht durfte daher die Akten dem Arbeitsgericht Hanau weder sofort nach der Beschlußfassung noch später übersenden. Es hätte vielmehr seinen Beschluß begründen und die Zustellung veranlassen müssen. Erst nach Ablauf der Beschwerdefrist hätte es die Akten übersenden dürfen.
Inzwischen ist aber durch Zeitablauf Rechtskraft eingetreten. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgericht Hanau wurde am 24. Februar 1995 verkündet, aber nicht zugestellt. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde begann daher am 25. Juli 1995; sie lief also im August 1995 ab. Wie sich bereits aus den §§ 516, 552 ZPO ergibt, wonach die Rechtsmittelfrist spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten beginnt, hindert die fehlende Begründung den Eintritt der Rechtskraft nicht.
3. Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F., § 48 Abs. 1 ArbGG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17 a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AZR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992, a.a.O.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller/Gummer, a.a.O., GVG § 17 a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1, zu II 3 a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Verweisungsbeschluß ist zwar entgegen § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG n.F. nicht begründet worden. Dies ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 1. Juli 1992, a.a.O.) zumindest dann unschädlich, wenn sich der Verweisungsgrund aus der Akte ergibt. Das Amtsgericht Hanau hat sich erkennbar die Auffassung beider Parteien zu eigen gemacht, daß die Arbeitsgerichte nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG deshalb zuständig sind, weil sich die Schlägerei zwischen zwei Auszubildenden desselben Arbeitgebers auf dem Nachhauseweg von der Arbeit zugetragen hat.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen