Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG § 48; GVG §§ 17, 17a; BGB §§ 117, 134
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.09.1996; Aktenzeichen 2/14 O 373/96) |
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 07.08.1996; Aktenzeichen 7 Ca 8868/95) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Frankfurt am Main bestimmt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten um Entgelt aus einem als Arbeitsvertrag bezeichneten Rechtsverhältnis.
Die Beklagte benötigte aus gewerberechtlichen Gründen ab 1. Januar 1995 einen Zahntechnikermeister als Betriebsleiter, da ihr Geschäftsführer diese Qualifikation damals noch nicht besaß. Nach einem schriftlichen „Arbeitsvertrag für Zahntechniker” vom 15. Dezember/22. Dezember 1994 sollte der Kläger der Beklagten für die Zeit ab 1. Januar 1995 im Umfang von 20 Wochenstunden als technischer Betriebsleiter zur Verfügung stehen. Das Monatsgehalt sollte danach 2.500,– DM brutto betragen. Die S. GmbH, bei der der Kläger damals als Zahntechnikermeister beschäftigt war, erklärte in einer als „Freistellungserklärung” bezeichneten Vereinbarung mit den hiesigen Prozeßparteien vom 22. Dezember 1994 ihre Bereitschaft, den Kläger für seine Tätigkeit als Betriebsleiter der Beklagten in dem erforderlichen Umfang freizustellen; gleichzeitig erklärte die Beklagte, sie werde ihre Betriebsstätte ab 1. Januar 1995 in die Räume der S. GmbH in H. verlegen. Der Kläger unterzeichnete ferner zur Vorlage bei der Handwerkskammer eine Betriebsleitererklärung vom 22. Dezember 1994. Tatsächlich verlegte die Beklagte ihre Betriebsstätte nicht in die Geschäftsräume der S. GmbH. Auch wurde der Kläger nicht als Betriebsleiter für die Beklagte tätig. Der Geschäftsführer der Beklagten zahlte im April 1995 persönlich 2.000,– DM an den Kläger.
Der Kläger meint, es habe sich gleichwohl um ein Arbeitsverhältnis gehandelt. Er habe seine Arbeitsleistung in H. erbracht. Daher schulde ihm die Beklagte das Gehalt eines Betriebsleiters. Der Kläger hat bestritten, sich bewußt an Manipulationsversuchen zur Umgehung von Vorschriften der Handwerksordnung beteiligt zu haben. Er hat hilfsweise beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt am Main zu verweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der schriftliche Arbeitsvertrag sei wegen Verstosses gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB in Verb. mit §§ 1, 7 HandwO nichtig. Sie, die Beklagte, habe lediglich für die Übergangszeit bis zur Ablegung der Meisterprüfung durch den Geschäftsführer einen Betriebsleiter benötigt. Auf der Suche nach einer geeigneten Person habe ihr Geschäftsführer den mit ihm befreundeten Geschäftsführer der S. GmbH angesprochen. Dieser sei bereit gewesen, den Kläger als Konzessionsträger zur Verfügung zu stellen. Die Parteien seien sich darüber einig gewesen, daß der Kläger keine Tätigkeit für die Beklagte erbringen und seine Arbeitskraft weiterhin voll zur Verfügung stellen solle. Für seine Dienste bis zum Bestehen der Meisterprüfung durch den Geschäftsführer der Beklagten habe der Kläger monatlich 1.000,– DM (brutto für netto) erhalten sollen.
Nach Erlaß eines die Klage abweisenden Versäumnisurteils, gegen das der Kläger rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, hat sich das Arbeitsgericht Frankfurt am Main mit Beschluß vom 7. August 1996 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt am Main verwiesen. Das Landgericht Frankfurt am Main hat sich nach Gewährung rechtlichen Gehörs durch Beschluß vom 25. September 1996 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesarbeitsgericht gem. § 36 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
B. Zuständig ist das Landgericht Frankfurt am Main. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ist bindend.
I. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar. Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder einem Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Landgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (BAG Beschluß vom 17. Juli 1995 – 5 AS 8/95 – AP Nr. 33 zu § 2 ArbGG 1979).
Das Arbeitsgericht und das Landgericht Frankfurt am Main haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch Beschluß vom 7. August 1996, letzteres durch Beschluß vom 25. September 1996, der als Rückverweisung anzusehen ist.
II. Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17 a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18 = NZA 1994, 479 f.). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, a.a.O., zu II 3 a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164). Letzteres ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Beschluß für die Partei, der das rechtliche Gehör verweigert wurde, unanfechtbar ist. Denn der Mangel des rechtlichen Gehörs kann durch nachträgliche Anhörung in der Rechtsmittelinstanz geheilt werden. Die nicht angehörte Partei kann in diesem Fall auf die Einlegung des Rechtsmittels verwiesen werden (BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 –, a.a.O.).
III. U eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung handelt es sich hier nicht.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht schon deshalb gegeben, weil die Klage auf einen Arbeitsvertrag gestützt wird.
a) Der erkennende Senat unterscheidet hinsichtlich der Entscheidungsgrundlagen für die Prüfung der Rechtswegzuständigkeit nach Fallgruppen (Beschluß vom 24. April 1996 – 5 AZB 25/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Zu der ersten Gruppe gehören die Fälle, in denen der Anspruch ausschließlich auf eine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, jedoch fraglich ist, ob deren Voraussetzungen vorliegen (sog. sic-non-Fall). Hauptbeispiel ist die auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Klage. Die entsprechenden Tatsachenbehauptungen des Klägers und seine Rechtsansicht sind hier „doppelrelevant”, also sowohl für die Rechtswegzuständigkeit, als auch für die Begründetheit der Klage maßgebend.
Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen ein Anspruch entweder auf eine arbeitsrechtliche oder eine bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen sich aber gegenseitig ausschließen (sog. aut-aut-Fall). Dazu gehört etwa die Klage auf Zahlung des vereinbarten Entgelts für geleistete Arbeit aus einem Rechtsverhältnis, das der Kläger für ein Arbeitsverhältnis, der Beklagte dagegen für ein – nicht arbeitnehmerähnliches – freies Mitarbeiterverhältnis hält. Weiter gibt es Fälle, in denen ein einheitlicher Anspruch widerspruchslos sowohl auf eine arbeitsrechtliche als auch auf eine nichtarbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann (sog. et-et-Fall.
b) Der Senat hat wie folgt entschieden: Kann die vor dem Arbeitsgericht in einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit erhobene Klage nur dann Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist (sog. sic-non-Fall), so reicht die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Bejahung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus. Ist der Kläger kein Arbeitnehmer, so ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Eine Verweisung des Rechtsstreits in einen anderen Rechtsweg wäre in diesem Fall sinnlos (Beschluß vom 24. April 1996, a.a.O.). Kommen für einen Anspruch sowohl arbeitsrechtliche als auch bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht (sog. aut-aut-Fälle und et-et-Fälle), so kann die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nicht begründen. Ein Streit etwa um die Entgeltzahlung wird nicht dadurch zu einem arbeitsrechtlichen, daß der Kläger sich für einen Arbeitnehmer hält. Andernfalls stünde der Rechtsweg weitgehend zur Disposition des Klägers. In dem Beschluß vom 10. Dezember 1996 (– 5 AZB 20/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat es offengelassen, ob es in einem solchen Fall für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten ausreicht, wenn der Kläger das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses schlüssig vorträgt, oder ob bereits im Rechtswegbestimmungsverfahren die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers bewiesen werden muß.
c) Vorliegend kann die Klage entgegen der Ansicht des Landgerichts sowohl auf eine arbeitsrechtliche als auch auf eine nichtarbeitsrechtliche Grundlage gestützt werden. Es ist denkbar, daß das Vertragsverhältnis der Parteien trotz seiner Bezeichnung als Arbeitsvertrag als Gesellschaftsvertrag oder als freies Dienstverhältnis zu qualifizieren ist (BAG Urteil vom 2. Februar 1994 – 10 AZR 673/92 – AP Nr. 8 zu § 705 BGB). Die Klage kann auch dann (teilweise) Erfolg haben, wenn der Kläger nicht in einem Arbeitsverhältnis stand. Danach war zumindest schlüssiger Tatsachenvortrag des Klägers hinsichtlich seiner Arbeitnehmerstellung erforderlich.
Im Streitfall haben die Parteien einen schriftlichen Vertrag geschlossen, bei dem es sich nach Überschrift und Inhalt um einen Arbeitsvertrag handelt. Die Beklagte wendet ein, der Arbeitsvertrag sei als Scheingeschäft und wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz nichtig. Unstreitig ist der Kläger nicht als Betriebsleiter für die Beklagte tätig geworden. Das Arbeitsgericht hat offenbar daraus gefolgert, daß es an dem für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses erforderlichen Grad der persönlichen Abhängigkeit fehlt. Es hat also den klägerischen Vortrag zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses als unschlüssig angesehen. Das mag zwar fehlerhaft sein. Offensichtlich gesetzwidrig ist dies jedoch nicht.
2. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts ist auch nicht wegen Versagung rechtlichen Gehörs offensichtlich gesetzwidrig. Der Kläger hat hilfsweise Verweisung an das Landgericht Frankfurt am Main beantragt. Die Beklagte hat dem mit Schriftsatz vom 19. März 1996 widersprochen. Im übrigen stand beiden Parteien gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main die sofortige Beschwerde zu (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG).
3. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts ist schließlich auch nicht deshalb offensichtlich gesetzwidrig, weil er nach Erlaß eines Versäumnisurteils ergangen ist. Das erstinstanzliche Gericht hat die Zulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtswegs in jeder Lage des Verfahrens, also auch nach Durchführung einer Beweisaufnahme, von Amts wegen zu prüfen. Es darf den Rechtsstreit nur dann nicht mehr verweisen, wenn es seine Rechtswegzuständigkeit durch Beschluß nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG bejaht hat, oder der Rechtsstreit in dieser Instanz bereits abgeschlossen ist, d.h. keine gerichtlichen Entscheidungen mehr zu treffen sind (Senatsbeschlüsse vom 2. August 1982 – 5 AR 146/82 – BAGE 39, 269 = AP Nr. 29 zu § 36 ZPO; vom 22. September 1992 – 5 AS 8/92 – juris; Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl. 1995, § 36 Rz 26). Das ist hier nicht der Fall.
4. Das Landgericht hat den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (§ 17 Abs. 2 GVG). Die Bindungswirkung des von einem Rechtsweg in den anderen verweisenden Beschlusses beschränkt sich auf die Rechtswegsfrage. Die Verweisungsgründe binden in der Sache nicht (BAG Beschluß vom 24. April 1996, a.a.O.).
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen